Opfer und Täter


Als Sozialpädagogin bin ich eine Fachperson in agogischen Themen und kenne mich zB sehr gut aus mit Inklusion und Exklusion. Aus dieser Sicht möchte ich über das Thema schreiben, über das ich mir gerade Gedanken mache:

Ohne Täter (-innen sind auch immer mitgemeint) gäbe es auch keine Opfer, also wäre es doch logisch dafür zu sorgen, dass es keine Täter mehr gäbe. Zack, Problem gelöst.

Täter werden bestraft. Manchmal.
Es gibt ganz viele Situationen, in denen Täter aber nicht zur Rechenschaft gezogen werden, möglicherweise aber für das Opfer grosse Veränderungen und Probleme entstanden sind. Nicht selben lebensverändernde. Weil Täter Täter sein dürfen, ist ihnen ganz bestimmt oft nicht mal bewusst, dass sie jemandem schaden.

Es ist übrigens auch immer noch oft so, dass Arschlöcher für ihr Arschloch-Verhalten Respekt erhalten. Wie Scheisse ist das denn bitte?
Opfer werden im besten Fall geschützt und therapiert, das ist nicht mal immer der Fall.
Tätern wird im besten Fall gesagt, sie sollen aufhören. Vielleicht tun sie das, vermutlich aber suchen sie sich einfach ein neues Opfer.

Die meiner Meinung nach richtige Vorgehensweise wäre auf den ersten Blick eigentlich einfach, und logisch, aber ich weiss dass es viel komplexer ist. Trotzdem finde ich, dass hier überall total verkehrt vorgegangen wird.

Es fängt damit an, dass in Schwarz-Weiss gedacht wird. Es gibt Täter und Opfer. Wenn man wählen kann zwischen diesen beiden Rollen, ist man lieber ein Täter, denn wer kommt schon gern unter die Räder?
Aber es gibt ganz vieles noch dazwischen. Nämlich ganz normale Menschen, die weder Opfer noch Täter sind und genau da befinden sich wohl die meisten von uns.
Ziel wäre es doch, dass auch Opfer und Täter ein bisschen von schwarz oder weiss wegrutschen könnten und auch einfach normale Menschen sein dürfen, irgendwo in der bunten Grauzone dazwischen. Ohne andere kaputt machen zu wollen und auch ohne mies behandelt zu werden.

Wenn irgendetwas passiert, zB Mobbing, eine Vergewaltigung oder eine andere Gewalttat, dann wird sehr schnell nach Gründen gesucht, warum diese Person zum Opfer geworden ist. Und nein, eigentlich wird niemand zum Opfer. Man wird zum Opfer GEMACHT. Der Täter oder die Täterin macht das bewusst, ist also der aktive Teil darin. Das Opfer ist der passive Teil, wird aus irgendwelchen Gründen dazu erkoren.
Gründe, dass jemand zum Opfer wird? Zu rote Lippen, wie es damals Falco schon gesunden hat? Zu unsicher? Zu kurzer Rock? Benimmt sich eigentartig? Ausseinseiterin? Schüchtern? Ängstlich?

In der Schweiz läuft gerade eine Kampagne gegen Mobbing (SRF Say hi) und ich bin mir sicher, die meisten haben noch nie etwas davon gehört, wenn sie nicht zwischendurch Radio SRF hören. Denn nirgendwo sonst wird darüber geredet. Was mich überrascht, auch zB nicht in der örtlichen Schule, wo Mobbing seit Jahre immer wieder ein grosses Thema ist (so wie halt in andern Schulen auch) und wo es noch ganz viel Potential nach oben gäbe, wie man damit adäquat umgehen könnte.
Jedenfalls höre ich mir immer mal wieder die Spezialsendungen im Radio zu diesem Thema an, weil es mich interessiert.
Dabei ist mir eine Aussage besonders geblieben:
Das Opfer ist NIE Schuld daran, was ihm passiert oder passiert ist. Wirklich nie.

Niemand darf gemobbt (oder vergewaltigt oder zusammengeschlagen oder ermordet) werden, weil er oder sie so ist wie sie ist. Es gibt NIE einen Grund dafür. Jedenfalls keinen Grund, der beim Opfer liegt.
Ein Kind darf noch so unsicher sein, eine Brille tragen, übergewichtig oder aus einer anderen Kultur stammen, Mobbing ist immer verboten. Eine Frau kann in Unterwäsche durch die Stadt laufen, stark geschminkt sein, flirten und dann nein sagen, sexuelle Übergriffe sind verboten.
Diese Aussagen gelten für Gewalt jeglicher Art und an allen Menschen, egal welchen Alters, welchen Geschlechts und welcher Herkunft.

Gründe, warum solche Dinge passieren, gibt es aber schon. Die sind aber bei den Tätern und vielleicht auch beim Umfeld im weiteren Sinn zu suchen. Und wie gesagt, NIE beim Opfer.

In meiner Arbeit im Strafvollzug (männliche Jugendliche) vor x Jahren habe ich sehr viel über diese Thematik gelernt. Ich weiss, dass Täter nicht die coolen, tollen, starken Menschen sind, als die sie gerne gesehen werden möchen (und das ja oft auch mit Erfolg, weil Menschen nicht immer sooo klug sind und sich ganz leicht täuschen lassen). Täter kompensieren mit ihrem Verhalten etwas und das ist in den allermeisten Fällen vermutlich nicht die Freude am Quälen, sondern ganz einfach Unsicherheit.

Also während man dann ganz fest an der Unsicherheit der Opfer arbeitet und mit den Tätern nicht, werden sie weitermachen. Sie vertuschen ihre Unsicherheit und nähren ihren Drang nach Ruhm und Anerkennung damit, andere nieder zu machen, weil sie keine andere Möglichkeit oder Fähigkeiten haben, dies anders zu erreichen.
Irgendwie klingt das jetzt plötzlich nicht mehr so cool und toll, sondern eher recht erbärmlich, oder?
Und der Nachteil für sie und auch für Menschen, die irgendwann zu ihren Opfern werden ist, dass sie nicht darin begleitet werden, sich andere Verhaltensweisen anzueignen.

Etwas anderes, das ich gelernt habe in der Arbeit mit diesen Jugendlichen ist, dass ganz viele Täter eigentlich auch Opfer sind. Also viele Menschen, die zB sexuelle Gewalt verüben, haben dasselbe auch erlebt.
Dass Opfer zu Tätern werden, hat verschiedene Gründe. Zum einen ist das Thema Grenzen darin ein zentrales Thema. Menschen, denen Grenzen genommen und zerstört wurden, also zB durch Übergriffe, die haben die oftmals einfach nicht mehr. Und wenn man die nicht mehr hat, kann man die auch nicht mehr setzen.
Wenn man selbst keine Grenzen mehr hat, wird man möglicherweise aber auch die Grenzen der andern nicht mehr sehen und diese überschreiten und verletzen. Einfach auch, weil einem die Fähigkeit und das Gespür dafür genommen wurde. (Therapie sehr wichtig!)
Natürlich gibt es noch ganz viele andere Gründe und ich glaube, dass ganz viele davon bezwecken wollen, selber nicht zum Opfer zu werden.

Ich würde sagen, dass viele Täter nicht wissen, was sie ihrem Opfer damit antun bzw dass da ganze Seelen und Leben zerstört werden können, Menschen zerbrochen werden.
Ich fände es sehr, sehr wichtig, ihnen das aufzuzeigen. Und wenn das ihnen dann egal ist, liegt da wohl eine tiefere psychische Störung vor, die ganz dringend behandelt werden muss.
Das mit der psychischen Störung ist ja auch ein Thema, das ganz interessant ist, denn während man denkt, das Opfer sei psychisch labil oder irgendwas, um überhaupt zum Opfer zu werden, finde ich eher, dass vor allen Dingen mit den Tätern psychisch ganz vieles nicht stimmt.

Das ist ein grosses Thema und ich hätte Lust, noch ganz viel darüber zu schreiben, aber ich lass das mal so stehen für heute.

Mir ist es wichtig zu sagen, dass Opfer und Täter sein nicht ein Normalzustand von uns Menschen ist, sondern dass wir eigentlich weder das eine noch das andere sind und dass es wirklich sehr wünschenswert wäre, diesen „Normal-Zustand“ zu fördern.
Zum andern wäre es mir wichtig, dass es nicht einfach okay ist, Täter zu sein, sondern dass mit denen genau so intensiv gearbeitet werden soll wie mit. den Opfern, um möglichst zu verhindern, dass es überhaupt Opfer gibt.

Seid freundlich zueinander, sonst wird das nichts.
Danke.

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