
Wertschätzung ist irgendwie auch etwas, wo uns die Pandemie einlädt, uns darüber Gedanken zu machen. Wir erinnern uns daran, wie wir vor fast zwei Jahren während des Lockdowns dem Gesundheitspersonal für zwei Monate so dankbar waren für ihren Einsatz. Und fast all jenen, die für uns arbeiteten, während andere genau dies nicht tun durften. Auch dem Personal in den Läden, die trotz Virus und Ansteckungsgefahr unermüdlich die Regale eingeräumt haben oder an der Kasse unsere Einkäufe gescannt haben. Die Post- und Paketboten, die tonnenweise Pakete zustestellt haben. Wir haben uns bedankt und haben in diesen Wochen ihre Arbeit besonders geschätzt, weil uns wohl bewusst wurde, dass das doch nicht ganz so selbstverständlich ist und dass viel Arbeit dahinter steckt. Wir wussten nicht so recht, was dieses Virus für uns bedeuten würde, alles war noch neu und befremdend. Wir hatten Angst, dass wir nicht mehr alles einkaufen können, was wir mehr oder weniger benötigen. Wir waren unsicher, ob wir schwer krank werden würden und auf das vorhin erwähnte, überarbeitete und müde Gesundheitspersonal angewiesen sein könnten. Alles war irgendwie ein bisschen ungewiss.
Bisschen später wurde dann alles ein bisschen klarer. Man wusste schon ein bisschen mehr über Covid-19 und wir lernten, damit zu leben. Die anfängliche Besorgnis verblasste ein wenig. Wir wussten, dass wir eigentlich jederzeit alles einkaufen oder bestellen können und wir wussten, dass eine schwere Erkrankung nur einen kleinen Prozentsatz von uns Menschen treffen wird. Das gab bei vielen eine Entwarnung und dann irgendwie auch keinen Grund mehr, gewisse Berufsgruppen unsere Wertschätzung weiterhin so offensiv zu zeigen.
Bisschen übertrieben, ne? Aber unwahr ist es vermutlich trotzdem nicht.
In dieser Zeit wurde dem Gesundheitspersonal ganz viel Wertschätzung entgegen gebracht, in dem auf den Balkonen für sie applaudiert wurde. Verkaufs- oder Postpersonal wurde vermehrt mal „danke“ gesagt oder eine kleine Überraschung oder ein Znüni geschenkt. Das ist mega schön, finde ich. Aber um ehrlich zu sein glaube ich, dass das aus oben genannten Gründen geschehen ist. Man wurde sich plötzlich so sehr bewusst, dass man auf diese Berufsgruppen sehr angewiesen ist. Wie auf viele andere auch, nur agieren die mehr im Hintergrund und wir sind uns nicht so bewusst, dass die auch wichtig sind. Die (fehlende) Wertschätzung von Care-Arbeit und Erziehung
Systemrelevant.
Dieser Ausdruck hat mich immer sehr gestört, wenn ich ehrlich bin. Systemrelevant sind irgendwie Berufe, die uns unseren Lebensstandard sichern, auf welcher Ebene auch immer. Wenn man es sich genauer überlegt, gibt es aber keine Berufe, die nicht systemrelevant sind, denn alle hängen aneinander wie ein Glied nach dem andern an einer Kette. s y s t e m r e l e v a n t
Wie ist das eigentlich mit der Wertschätzung?
Nehmen wir als Beispiel einmal mich. Ich arbeite als Sozialpädagogin, in einem betreuenden und begleitenden Beruf. Menschen mit gewissen besonderen Bedürfnissen in ihrem Alltag zu unterstützen, das ist meine Dienstleistung. Dafür beziehe ich meinen Lohn.
Oder der Paketbote. Der verdient ja sein Geld damit, uns die Pakete zuzustellen.
Der Lehrer unterrichtet unsere Kinder, das ist sein Beruf. Dafür wird er bezahlt.
Das Pflegepersonal im Krankenhaus, zB auf der Intensivstation. Jede einzelne Überstunde, die dort (wie auch bei uns) geleistet wird, wird bezahlt. Das ist korrekt.
Die Reinigungskraft. Sie wird bezahlt für ihre Dienste.
Da könnte man jetzt fast alle Berufe dieser Welt aufzählen.
Wie ist das nun mit der Wertschätzung? Reicht der monatliche Lohn als Wertschätzung oder wäre es schön, zwischendurch auch mal ein „danke“ oder sonst eine nette Rückmeldung zu hören? Ein Lob, ein freundliches Wort?
Das Abendessen war sehr lecker, danke fürs Kochen.
Ich freue mich, dass mein Vater bei ihnen so gut aufgehoben ist. Danke.
Danke fürs Zuhören.
Ich bin so gern mit dir zusammen.
Es ist für mich so entlastend, dass sie für mich die Wohnung reinigen.
Danke, dass sie mir das Paket rauf gebracht haben.
Danke dass du an deinem freien Tag einspringen konntest.
Schön, dass ihr unsere Nachbarn seid,
…
Wertschätzung ist ja sowieso nicht ein Thema, welches nur die Arbeit bzw die Berufswelt betrifft. Wertschätzung ist für uns Menschen etwas sooo wichtiges. Es motiviert und tut uns gut. Es macht, dass wir uns angenommen fühlen, genau so wie wir sind. Es zeigt, dass unser Einsatz gesehen wird und dass wir gemocht werden. Existenziell wichtig, würde ich sagen.
Beinhaltet Wertschätzung vielleicht auch gute Anstellungsbedingungen, Sorgfalt und Rücksicht? Dass gesehen wird, was diese Person in ihrem Beruf leistet?
Beinhaltet Wertschätzung vielleicht auch, dieser Person und ihrem Können und Wissen zu vertrauen, weil und obwohl wir selbst dieses nicht haben?
Beinhaltet Wertschätzung vielleicht auch, die Anliegen dieser Person oder Berufsgruppe zu hören und ernst zu nehmen?
Beinhaltet Wertschätzung vielleicht auch, nicht nur zu reklamieren und sich zu melden, wenn etwas mal nicht gut ist, sondern auch Rückmeldungen zu geben, wenn etwas gut ist?
Bedeutet Wertschätzung vielleicht auch, Rückmeldungen entgegen zu nehmen und darüber nachzudenken?
Bedeutet Wertschätzung vielleicht auch, Grenzen einer anderen Person zu akzeptieren, auch wenn es nicht die eigenen sind?
Bedeutet Wertschätzung vielleicht auch, andere anständig zu behandeln?
Bedeutet Wertschätzung vielleicht auch, jemanden nicht gleich aus unserem Leben zu kicken, obwohl er mal etwas sagt, was uns nicht so entspricht?
Bedeutet Wertschätzung vielleicht auch, einfach mal „danke“ zu sagen oder jemandem ein ehrliches Kompliment zu machen?
Bedeutet Wertschätzung vielleicht auch, jemanden der eine andere Meinung hat, nicht als blöd und unfähig hinzustellen?
Bedeutet Wertschätzung vielleicht auch, andere als anders wahrzunehmen und sich bewusst zu sein, dass es einem nicht zusteht dieses Anders-Sein zu werten?
Dankeschön fürs Lesen. Ich empfinde das und auch eure Rückmeldungen tatsächlich auch immer als sehr wertschätzend.
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