Wenn Eltern sterben


Irgendwann ist auch der längste Tag vorbei und die Sonne geht unter, um uns ein paar Stunden Dunkelheit, Stille und die Möglichkeit zur Erholung zu gönnen. Sie wird am nächsten Morgen wieder aufgehen. Immer und jeden Tag. Auch dann, wenn wir denken, sie sei nicht da, weil es grau und regnerisch ist.

So ähnlich ist es doch auch mit dem Leben.
Irgendwann ist es zu Ende, der Mensch stirbt. Wenn man das so pragmatisch anschaut, ist das keine grosse Sache und es ist nichts anderes als der normale Lauf des Lebens. Irgendwann beginnt es und irgendwann endet es. Das dazwischen nennen wir Leben.
Eigentlich könnte man das recht abgegrenzt und rational sehen. Das tun wir bestimmt auch oft. Ich habe das beobachtet, als es um die vielen Corona-Toten ging, die wir nicht kannten. Fremde Menschen sind gestorben und weil wir sie nicht oder nicht näher kannten, war es vielen egal. Das muss es irgendwie ja zum Teil auch, denn man kann wirklich nicht alles an sich ranlassen. Selbstschutz. Ich denke, bei Corona hatte dieses Egal-Sein noch andere Gründe, denn das Hinschauen hätte ethische und moralische Konsequenzen gehabt. Also wieder Selbstschutz.
Abgrenzen funktioniert ganz gut, bis es dann plötzlich uns (be)trifft. Bis jemand aus dem engeren Umfeld stirbt, jemand den man gern hat. Dann ist es vorbei mit der Rationalität und es erschüttert uns bis tief ins Innerste. Jeden wieder anders.

Jemand, der mehr oder weniger plötzlich weg ist – und wenn wir ehrlich sind, ist es am Schluss doch immer irgendwie plötzlich. Sterben kann sehr lange dauern und diesem Prozess und allem, was damit zusammenhängt, zuzusehen, das ist etwas sehr Schlimmes, finde ich. All das Leiden – verschiedene Arten von Leiden. Schmerzen, die Veränderung dieser Person, ihr Verlust des Lebenswillens, der Lebenskraft und / oder der Lebensqualität. Loslassen müssen ohne es zu wollen. Und Angst, oft ganz, ganz viel Angst. Beim Erkrankten und auch bei den Angehörigen.
Und wenn dieser Mensch dann stirbt, dann ist es ein Schock, eine Erlösung und für die Personen, die ihm nahe standen, ein sehr einschneidendes Erlebnis. Das ist es immer, wenn jemand stirbt. Auch wenn jemand schnell und plötzlich sozusagen aus dem Leben gerissen wird.
Manchmal dauert das Sterben eine Weile, manchmal gehts ganz schnell, denn es gibt verschiedene Arten zu sterben. Und auch unterschiedliche Umstände. Einige stimmen uns als Hinterbliebene versöhnlicher, irgendwie tröstlich, andere hinterlassen in uns nichts anderes als Fragezeichen und Unverständnis. Begleitet von Trauer und Vermissen.

Egal, wie lange das Sterben dauert und ob wir es miterleben bzw. mitbegleiten oder einfach danach vor vollendete Tatsachen gestellt werden, ich habe das Gefühl, der Tod einer uns sehr nahestehenden Person löst immer so etwas wie einen Schock aus. Man kann sich nicht wirklich darauf vorbereiten, man weiss vielleicht, dass es (irgendwann) passieren wird und doch ist man nicht darauf vorbereitet, denn unsere Gefühle sind nicht planbar. Die kommen dann einfach in diesem Moment. Womit wir am Ende dann umgehen müssen, ist vermutlich nicht nur der Tod dieser Person, sondern vor allem das, was er bei uns auslöst und die Lücke die sie hinterlässt. Leere ist schwer auszuhalten.

Der Übergang vom Leben in den Tod dauert nur einen Moment. Und dieser Moment dauert eine Sekunde.
Herzschlag…. Herzschlag…. Herzschlag…. Herzschlag…. Herzschlag… Herzschlag…. piep piep piep oder einfach Stille, nichts mehr, Ende. Von einer Sekunde zur andern. Und dann ist sie weg, diese Person, die wir loslassen müssen…
Etwas was ich daran ganz schwierig fand war die Tatsache, dass sie oder er noch da lag, als wäre sie noch am Leben. Der Körper war noch da. Von aussen war der Tod oder der Zustand des Todes fast nicht sichtbar. Das macht es schwer zu begreifen, dass es vorbei ist. Bei mir war es jedenfalls so.

Ich würde behaupten, dass für uns der Tod unserer Eltern besonders einschneidend ist. Ich habe das jedenfalls so erlebt. Ich war ja noch ziemlich jung, als meine Mutter starb ( Der Tag, an dem meine Mutter starb. ) und ich hatte danach noch für eine lange Zeit das Gefühl, ich hätte sie noch gebraucht. Ich habe eigentlich bei meiner (Ex-)Schwägerin, die schwer an Demenz erkrankt ist, genau dasselbe Gefühl , siehe den Text Valerie . Sie ist ja zwar noch „da“ bzw am Leben, sie ist aber wie gesagt dement und in England, also ist sie für mich trotzdem nicht mehr da. Kontakte sind nicht mehr möglich. Ich glaube, ich habe sie vor etwa fünf Jahren zum letzten Mal gesehen und da hat sie mich noch einigermassen erkannt, aber richtige Gespräche gingen da schon nicht mehr. Und ich habe bis heute das Gefühl, dass ich mit ihr noch nicht „fertig“ bin. Wir haben noch nicht zu Ende geredet. Noch nicht zu Ende gelacht und ich habe sie noch nicht zu Ende geliebt. Und doch geht das alles nicht mehr. Beim Tod ist das auch so. Einfach zu Ende, unterbrochen wo man gerade war zusammen.

Meine Mutter ist vor 23 Jahren gestorben. Neun Jahre später dann mein Vater. Und wenn ich mich zurück erinnere, empfinde ich dieses Ereignis als fast noch einschneidender. Wenn dann der zweite Elternteil noch stirbt, dann sind beide weg. Man hat gar keine Eltern mehr. Beide Menschen, die einen „gemacht“, geboren und aufgezogen haben, die für eine lange Zeit Wurzeln und Halt waren, sind nun weg. Und vielleicht mit ihnen auch das Elternhaus oder die Wohnung, in der wir aufgewachsen sind. Ein ganzes Stück unseres Lebens irgendwie.
Ich glaube, das ist auch im Erwachsenenalter nicht so einfach, egal wie alt man selber ist.
Und wenn Kinder ein Elternteil verlieren, das finde ich ein ganz furchtbares Thema. So schlimm. Ich mag darüber gar nicht nachdenken oder schreiben. Und doch passieren solche Dinge.

Da ich meine Eltern beide eigentlich relativ früh verloren habe im Vergleich zu andern, hatten rund um mich herum die meisten ihre natürlich für eine lange ZEit noch. Nun sind weitere Jahre vergangen, alle werden älter und die Eltern meiner Bekannten und Freunde*innen bzw diese Generation beginnt zu sterben.
Ich glaube, sie alle sind nun in einem Alter, bei dem man nicht mehr sagen kann, „zu jung gestorben“ oder „viel zu früh*. Eigentlich. Aber irgendwie ist es doch immer zu früh, gewisse Menschen loszulassen…
Und so nimmt alles seinen Lauf. Meine Freundinnen beginnen, ihre Eltern zu verlieren, falls es nicht schon geschehen ist.

Das löst bei mir verschiedene Gefühle aus. Zum einen – und das kommt vielleicht bei euch sehr schräg an – bin ich wirklich froh, dass ich das hinter mir habe. Einfach im Bewusstsein, wie traurig und wie schwierig es ist. Und aber auch im Bewusstsein, dass ich sie ja gern noch hier hätte und was ich und auch sie alles verpasst haben zusammen bzw. was ich noch mit ihnen hätte teilen wollen.
Aber ich weiss, wie es sich anfühlt, die Eltern zu verlieren. Ich habe es erlebt, es ist Jahre her und ich habe mich daran gewöhnt, es geht mir längst wieder gut. Aber wenn ich ehrlich bin, würde es nicht nochmal erleben wollen. Obwohl es vielleicht jetzt, 20 Jahre später auch anders wäre, weil sie ja auch älter wären und ich vielleicht dem Tod gegenüber verständnisvoller und bereiter als damals.
Und genau deswegen meine weiteren Gefühle. Mitgefühl. Unendlich viel davon. Und Traurigkeit. Es ist hart, seine Eltern zu verlieren. Ich möchte nicht, dass das jemand, den ich gern habe, erleben muss. Ich möchte sowieso nicht, dass überhaupt jemand jemanden den er liebt, verlieren muss. Ich möcht nicht, dass jemand so sehr traurig ist.

Und doch passiert es und wir Menschen können das. Wir können damit umgehen und wir helfen uns gegenseitig dabei.

2 Antworten zu „Wenn Eltern sterben”.

  1. Ja. EIgentlich ist man wortlos, sprachlos. Bei mir ist es jetzt schon ein paar Tage her, es war ok, also so nach den üblichen Kriterien, es war nicht grausamer, als es sein muß, es war nicht zur Unzeit. Aber plötzlich steht man da und ist in einem ganz eigentümlichen Sinne allein. Oder auch: man erkennt plötzlich: he, jetzt sind wir die Alten!
    Der Abschied war in Ordnung, alle waren noch mal da, bei jedem Eltern resp. Großelternteil. Sie haben ihr Leben mit allen höhen und Tiefen (und was für Tiefen, Kriegsgeneration) gelebt.
    Und doch, und doch, und doch: Verzichtet man nicht gern auf Mutters Hand und Vaters Rat (oder umgekehrt, ganz egal). Selbst, wenn die Rollen plötzlich vertauscht sind, was auch schon eigenartig genug ist!
    Keiner geht gern. Und keinen läßt man gerne gehen. Und wir wissen doch um das Unvermeidliche, Definitive, Absolute. Ausweglose und vor allem recht eigentlich ganz normale.

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  2. Als Betroffener sage ich: „Danke“ für Deine Worte und Gedanken

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