Versprechen hält man. Oder nicht.


Ein Versprechen ist etwas sehr ehrenhaftes, finde ich. Es ist eine verbindliche Erklärung, eine Zusicherung, etwas Bestimmtes zu tun. Oder nicht zu tun. Auf ein Versprechen kann man sich 100% verlassen, das wird eingehalten.
Also…. sollte eingehalten werden… ähmmm…. wird vielleicht eingehalten. Wenn es geht. Wenn nichts dazwischen kommt. Ja…. vielleicht….

Eigentlich finde ich Versprechen etwas ganz Blödes. Wie oft werden sie leichtsinnig ausgesprochen, ohne dass man ihrer Bedeutung, ihrer Konsequenzen bewusst ist. Dann, wenn es uns richtig super-gut geht, wenn wir nicht glücklicher sein könnten und meinen, hoffen, glauben, es sei für immer. Dann, wenn es uns richtig schlecht geht und alles tun würden, damit es wieder besser wird. Oder dann, wenn wir uns aus irgendwelchen Gründen unter Druck fühlen, etwas versprechen zu müssen.

Ein paar Beispiele?
Ich persönlich finde das Versprechen, das man sich beim Heiraten gibt, etwas ganz besonderes bzw. fand.
Aber die Dinge ändern sich. Menschen ändern sich. Und dann ist vielleicht das „für immer“ schon vor der Ewigkeit zu Ende und das „bis dass der Tod euch scheidet“ ist dann, wenn der eine sich in jemand anderes verliebt oder halt dann, wenn die Lebensumstände einen scheidet. Das kann passieren.
Heute hat man die Möglichkeit, eine unglückliche Beziehung zu beenden und das finde ich richtig so. Dieses „für immer“ wünscht man sich am Anfang einer Ehe, einer Liebe ja sehr, aber vielleicht sollte man es sich nicht mehr versprechen oder das Versprechen abwandeln. Viel schöner fände ich persönlich es, wenn man sich versprechen würde, zusammen Lösungen zu suchen, sollten Schwierigkeiten auftauchen. Oder dass man sich bemühen wird um einander, dass man nicht kampflos aufgeben wird, dass man die Beziehung nicht zu Tode schweigen wird, sondern die Kommunikation am Leben hält, auch wenn es manchmal schwer ist. Dass man es nicht zulassen wird, dass die Ehefrau oder der Ehemann einem langweilig wird, anödet und sich nach etwas Neuem umschaut, bevor man sich bemüht hat. Dass man nicht fremd geht und das ganze Umfeld davon weiss, der Ehepartner zuhause aber als einziger nicht. Einfach, dass man fair und wertschätzend bleibt, in der Beziehung und falls das eintreffen sollte, auch am Ende dieser.
„Für immer und ewig, bis dass der Tod euch scheidet“, das wäre zwar schön romantisch, aber ich finde, dass soll niemand versprechen müssen.

Meine Tante und ihr Mann, das war ein wunderbares Paar. Ich schreibe war, weil er vor ein paar Tagen verstorben ist.
Ich habe vor einem Monat bereits von den beiden geschrieben, im Text „Und nebenbei läuft das Leben weiter“. Irgendwie klappt es mit verlinken nicht, aber ihr findet ihn bestimmt, wenn ihr wollt.

Ich weiss nicht, wieviele Jahre sie verheiratet waren, aber es müssten wohl so um die 50 sein.
Das Umfeld wusste natürlich von seiner Demenz und es wurde ihnen reichlich Hilfe und Entlastung angeboten. Aber es ist ja oft so, dass man nur einen Teil einer Situation sieht. Einen kleinen Teil. Erst, als mein Onkel gestürzt und sich den Oberarm gebrochen hat und deswegen nach dem Krankenhaus in einem Pflegeheim untergebracht wurde, begann meine Tante zu erzählen. Sie konnte vorher ja nicht, denn er war natürlich immer mit in der Wohnung und sie wollte ihn nicht verletzen, indem sie über ihn erzählt. Also schwieg sie immer. Jetzt wurde klar, wie weit fortgeschritten die Demenz meines Onkels war und wieviel meine Tante in ihrem hohen Alter geleistet hatte. Wirklich weit über ihre Grenzen hinaus.

Meine Tante ist eine vernünftige, tolle Frau. Eine starke! Sie wusste seit langem, dass es so nicht mehr weiter geht und dass sie die Betreuung ihres Mannes eigentlich schon lange nicht mehr übernehmen kann. Aber seinen Mann nach so vielen Jahrzehnten in eine Pflege-Einrichtung zu geben, sozusagen gegen seinen Willen, das ist wirklich eine schwere Entscheidung. Dann kommt ja noch dazu, dass er die ganze Misere ja auch gar nicht mehr so richtig realisiert hat. Er hatte noch klare Momente, in denen er sich bei ihr bedankt hat dafür, was sie alles tut. Und er hat sie immer wieder gebeten und angefleht, zuhause bei ihr bleiben zu dürfe.
Die beiden haben einander versprochen, für einander zu sorgen, falls es einem von beiden eines Tages nicht mehr gut ginge.
Wer bringt es dann übers Herz, auf seine eigenen Grenzen und auf die Vernunft zu achten und schlussendlich auch gegen sein eigenes Herz zu entscheiden? Ein solch grosses Versprechen nicht einhalten zu können? Das stelle ich mir furchtbar vor…

Ich finde das sehr, sehr rührend und auch schön. Aber bitte, verspricht einander nicht so etwas, denn das kann unter Umständen nicht eingehalten werden und ich bin der Meinung, es sollte auch gar nicht eingehalten werden. Auf einander aufpassen und sich kümmern, das bedeutet für mich nicht, dass man sich aufopfern und selbst kaputt machen soll oder muss. Ich finde, das bedeutet, dass man Verantwortung übernimmt und nach möglichst guten Lösungen sucht.

Das ist keine Kritik an meiner Tante oder an andern, die solch grosse Versprechen machen und sich dann damit schwer tun, wenn es einfach nicht mehr möglich ist, diese einzuhalten, denn ich verstehe das ziemlich gut. Ich glaube auch, dass diese Versprechen zum Teil (es gibt ja auch die andern, die einfach so dahingeplappert und nicht ernst gemeint sind) wirklich sehr ernst gemeint sind und ihre „Absender“ ehren, weil eine total liebe Absicht und Verantwortungsbewusstsein dahinter stecken.

So etwas ähnliches habe ich selber auch mal erlebt. Als meine Mutter im Sterben lag, war der Motorrad-Unfall meines Bruders gerade mal drei Jahre her und er noch mitten in der Rehabilitation. Mir hatte mal jemand gesagt, dass sich Menschen mit Sterben manchmal sehr schwer tun, wenn sie nicht loslassen können, weil sie hier noch Dinge haben, für die sie sich verantwortlich fühlen. Ich wollte es meiner Mutter nicht noch schwerer machen, wollte sie entlasten und ich habe ihr in einem Moment, in dem wir allein waren gesagt, dass sie sich keine Sorgen machen soll, denn Papa und ich werden uns um meinen Bruder kümmern. Wenige Minuten später ist sie gestorben.

Ich musste für ein paar Jahre dieses Versprechen nicht gross einlösen, denn mein Vater tat das, nur schon durch die Tatsache, dass mein Bruder noch zuhause wohnte.
Als mein Vater dann neun Jahre später auch gestorben ist, sah die Sache dann etwas anders aus. Als einzige Hinterbliebene hatte ich natürlich die Verantwortung für alles. Auch für meinen Bruder. Einige wirklich schwierige Entscheidungen mussten getroffen werden. Für sein Leben. Natürlich mit ihm zusammen. Leider war es aber nicht möglich, dass er sein Leben genau so leben wird, wie er es sich vorgestellt und gewünscht hat. Das war schwierig und belastete auch unsere Beziehung sehr. Seine Kopfverletzungen verunmöglich(t)en es ihm, sich und die Situation realistisch einzuschätzen.
Mich hat diese Verantwortung jahrelang sehr belastet. Als mein Vater gestorben ist, war ich seit einem halben Jahr verheiratet und eigentlich war geplant, ein Kind zu bekommen. In dieser Zeit hatte ich aber das Gefühl, dass ich nicht noch mehr Verantwortung übernehmen kann, der Kinderwunsch wurde zurück gestellt.

Trotz Widerstand meines Bruders und ziemlich vielen Auseinandersetzungen gelangt es, ihm ein Netz auf die Beine zu stellen, das einigermassen für ihn okay ist und das mich entlastet. Es gibt immer wieder Momente, in denen es schwierig ist und in denen ich etwas entscheiden muss, das ihm nicht passt. So war das vor ein paar Jahren der Fall, dass er zwei, drei Jahre sauer auf mich war und mit mir nichts mehr zu tun haben wollte.
Das war zum einen gut, denn mir ist es gelungen, mich abzugrenzen und mich nicht dauernd immer um ihn zu sorgen, was bis heute angehalten hat. Zum andern fand ich es sehr belastend, weil mir nichts anderes übrig bleibt, halt diese Rolle wenn nötig einzunehmen. Und das ist halt immer der Fall, wenn Schwierigkeiten auftauchen. In guten Zeiten brauchts das nicht.
Und dann kam natürlich dazu, dass ich unserer Mutter versprochen habe, auf meinen Bruder aufzupassen und für ihn zu sorgen. Aber ich kann dieses Verspreche nicht einhalten, denn er lässt mich nicht.
Schwierig… Es hat einige Zeit gedauert, bis ich mit diesem Umstand umgehen konnte. Jetzt geht das ziemlich gut, einfach mit dem Wissen, immer wenn etwas ist, werde ich natürlich automatisch beigezogen.
Für jemanden zu sorgen bedeutet, da zu sein, wenn man gebraucht wird und das bin ich. Er ist nicht bevormundet oder entmündigt, also ist das okay so wie es ist. Was die Zukunft bringt, wird sich zeigen.

Es ist ja irgendwie schräg, wenn ich hier Ratschläge gebe, einfach so ins Leere hinaus und dazu noch von euch nicht gewollt. Aber ich glaube, heute mache ich das trotzdem mal.
Ich bitte euch, mit Versprechen vorsichtig und gewissenhaft umzugehen. Vor allem mit grossen Versprechen. Nicht unter Druck oder wenn man sehr emotional ist, etwas versprechen, sowie man ja auch nicht unbedingt Entscheidungen treffen sollte, wenn man emotional zu sehr involviert ist. Einfach zuerst gut überlegen und dafür dann das Versprechen auch einhalten.

Ich verspreche euch aber, dass hier bald wieder ein neuer Text von mir kommt. Ziemlich sicher…. vielleicht…



2 Antworten zu „Versprechen hält man. Oder nicht.”.

  1. Danke für deine Rückmeldung. Jetzt ist alles noch frisch, es geht ihr den Umständen entsprechend.
    Die Zeit wird zeigen, wie sie sich erholt. Ich hoffe, sie schafft das und hat selbst noch ein paar schöne Jahre zu leben.

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  2. Solche Texte helfen leben! DANKE
    Wie wird die Tante fertig mit dem Fortgang ihres Mannes? Ich stelle es mir nicht einfach vor…Sie wirkt stark…!
    Gruß von Sonja

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