Mein Fallschirm


Ich habe einen Fallschirm. Naja, es ist kein richtiger Fallschirm, ich nenne „es“ einfach so. Ich glaube, ich neige zu solchen „Verbildlichungen“ (habe ich gerade ein Wort erfunden oder gibts das schon?), vermutlich weil ich schon lange mit Menschen mit sogenannten Behinderungen arbeite. Solche Erklärungen verstehen sie gut. Und mein Kind natürlich auch. Vermutlich bin eigentlich ICH aber der Grund. Ich versuche, es mir selbst zu erklären, zu veranschaulichen und zu verstehen. 

Ein lebensveränderndes Ereignis passiert. Etwas schlimmes. Etwas, womit uns das Leben mit aller Wucht den Boden unter den Füssen weg reisst. Ich glaube, das Leben hat früher oder später für fast jeden von uns so etwas auf Lager. Leider. Plötzliche Arbeitslosigkeit, unheilbare Krankheit, Unfall, Todesfall, Verlust einer geliebten Person, irgendein Schicksalsschlag, der uns fallen lässt. Tiiiiiief fallen. In eine grosse Krise. 

Ich habe bereits von solchen Krisen in meinem Leben erzählt, sie erinnern sich vielleicht. Und ich weiss, dass auch sie von solchen Erfahrungen berichten könnten.  Man liest ja oft von sogenannten „Selbstmord-Beichten“ von irgendwelchen Prominenten oder solchen, die es gerne wären… „ich habe an Selbstmord gedacht“… „ich wollte mich umbringen“… 

Ich will nichts beschönigen oder bagatellisieren. Suizid ist in jedem Fall unfassbar schlimm. Aber ich will sagen, dass ich diese Gedanken durchaus auch irgendwie verstehen kann. Ich verstehe es, dass es Situationen im Leben gibt, wo man nicht mehr kann, nicht mehr will und einfach nicht weiter weiss…

Ich hatte solche Gedanken auch. Ich sah mich fallen ohne Ende, tief in ein Loch, Trauer, Überforderung und ich weiss nicht, was noch. Kein Ende in Sicht und keine Ahnung, wie es weiter gehen soll. 

Und dann ging jedesmal mein Fallschirm auf, das Fallen wurde langsamer und hörte irgendwann ganz auf. Mein Fallschirm heisst psychische Gesundheit. Er macht, dass die Vernunft (und nicht zuletzt auch das Verantwortungsgefühl) und der Glaube an das Gute wieder einsetzen. Aus Erfahrung wusste (weiss) ich, dass es mit der Zeit besser und einfacher wird, dass alles gut und ich wieder glücklich werde. Positivere, hellere Gedanken treten wieder öfter auf, das Leben geht weiter. Es ist nicht schwupps alles wieder gut, es dauert. Aber wenn das Fallen aufhört, kann man wieder klarer denken, düstere Gedanken werden wieder öfter durch bunte ersetzt. Es geht bergauf. 

Mein Fallschirm geht immer auf, bevor ich mich im freien Fall verliere, bevor ich aufpralle. Und er bleibt offen, bis ich wieder Boden unter den Füssen habe. So ein Fallschirm ist eine tolle Sache, sage ich ihnen! Ich hoffe, sie haben auch einen, denn nicht alle besitzen einen. Das ist überhaupt nicht selbstverständlich. Und es kann uns allen passieren, dass wir zwar einen hätten, aber er öffnet sich nicht zuverlässig, klemmt oder ist plötzlich kaputt. 

Ich bin froh um meinen. Ich glaube, er hat mir schon zwei-, dreimal das Leben gerettet. Ich hoffe, er bleibt heil und ich kann mich weiterhin auf ihn verlassen. Und das wünsche ich ihnen von Herzen auch. 

2 Antworten zu „Mein Fallschirm”.

  1. […] raus holen können und können dies auch umsetzen. (Für mich hat dies sehr stark mit dem Text Mein Fallschirm zu tun, den ich vor längerem mal geschrieben habe. Wenn ihr auf den Link tippt, kommt ihr zum […]

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  2. […] Ich kenne Menschen, die immer Steine auf ihrem Weg vorfinden, die sogar mit Steinen in den Schuhen unterwegs sind. Wären es tatsächlich nur Steinchen, könnte man sie ausleeren. Aber es sind zB Krankheiten oder Lebensumstände, die sich nicht mal so einfach ändern lassen. Sie gehen ihren Weg auch, obwohl manchmal schon die alltäglichen Dinge grosse Herausforderungen sind. Wenn dann noch etwas dazu kommt, wird das sehr schwierig. So wie bei uns auch, wobei wir – bzw ich rede ja jetzt von mir – also ich die einfacheren Voraussetzungen habe. Ein Fallschirm, auf den ich mich verlassen kann. https://puremyself.blog/2017/09/27/mein-fallschirm/ […]

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