
Zeitgleich mit Covid19 tauchten auch die verschiedensten und wildesten Verschwörungstheorien auf. Zum Teil sind das einfach Fehlinformationen, zum andern Teil wilde Theorien über Verschwörungen und grösster Gefahr, wobei bei Gefahr nicht das Virus, sondern die Regierung oder wer auch immer gemeint ist. Im Verlauf der letzten Monate ist all dies nicht etwa weniger geworden, sondern mehr und mir scheint, dass auch immer mehr Menschen gewillt sind, sowas zu glauben.
Der WHO-Direktor hat in einem Interview gesagt, dass wir nicht nur eine Pandemie bekämpfen, sondern dazu noch eine Infodemie. Die Informationsflut war und ist nämlich gross. Wahnsinnig gross. Neben Fakten und seriösen Informationen werden nämlich auch viele, viele Gerüchte und Fehlinformationen verbreitet. Diese Tatsache verlangt viel von uns ab. Abgrenzung vor allen Dingen, denke ich. Nicht alle können gleich gut damit umgehen, nicht alle haben die selben Möglichkeiten zur Abgrenzung und zur Einschätzung, was in etwa einigermassen realistisch ist und was nicht. Vielen macht das alles Angst. Das ist begreiflich.
Ich habe von Studien gelesen, die aussagen, dass wenn Menschen einen Kontrollverlust erleben, sie stärker an Verschwörungen glauben. Und so eine Pandemie bedeutet durchaus einen Kontrollverlust. Über uns wird mehr bestimmt als gewohnt, wir wurden und werden einigen Freiheiten beraubt, wir werden eingeschränkt und zum Teil auch kontrolliert, das stimmt durchaus. Und das ist etwas total Neues für uns. Viele erleben diese Einschränkungen als gross, als untragbar. Andere werden daran gehindert, ihrem Beruf nachzugehen und Geld zu verdienen.
Die Pandemie bzw. das Virus macht Angst, sie ist sowas wie die grosse Unbekannte. Man kennt sie noch nicht, man hört vieles und ist einer grossen Informations-Lawine ausgesetzt. Das sind ja nicht nur die Informationen, die von Zeitungen und Nachrichten-Magazinen verbreitet werden, auch das Internet ist voller Informationen. Es ist grenzenlos. Auf allen möglichen Kanälen melden sich alle möglichen Personen zu Wort, geben sich als Experten aus und wissen ganz genau Bescheid. Sie erzählen vielleicht Dinge über das Virus, das wir gerne glauben würden… Dass es nicht so schlimm ist, wie uns gesagt wird. Entwarnung. Und die Botschaft ist, habt keine Angst. Und das möchten wir doch. Keine Angst haben.
Und dennoch machen vielen dann auch wieder genau diese Botschaften Angst, denn sie sagen mehr oder weniger direkt aus, dass wir belogen werden von der Regierung, der WHO. Und schon ist da eine neue Bedrohung, ein Feind. Einer, der vermutlich fassbarer ist als so ein Virus. Das macht die Situation vielleicht erträglicher, man kann sich gegen jemanden stellen, man kann sich wehren, man hat einen Schuldigen.
Im Internet sind viele meiner Meinung nach sehr unsinnige Theorien zu finden, was da eigentlich los ist. Sie alle haben eins gemeinsam, sie verharmlosen das Covid19-Virus und machen jemand anderen zum Schuldigen oder zum Auslöser der ganzen Misere. Wenn ich solche Dinge lese, dann könnte ich laut lachen, weil es soooo lächerlich und unrealistisch ist. Wenn es denn nicht so ernst wäre…
So zum Beispiel ist Attila Hildmann mit seinen wilden Verschwörungsgeschichten in der letzten Zeit sehr aufgefallen. Er erzählt wirres Zeug, es geht um eine neue Weltordnung, um Impfzwang, Geheimbunde, um die Implantierung von Mikrochips und um Satanismus. So schrieb er anfangs Juni in einer Mitteilung, dass er nun wüsste, worum es bei Corona gehe: „Euer Ego soll in eine Cloud hochgeladen werden, die Leitung in Euren Körper wird gelegt durch eine Impfung und die darin enthaltene Nanotechnologie stellt die Verbindung her zu Cloud. Ihr sollt ungefragt unsterblich werden (…) das ist Satans Plan“. Nur ein paar Wochen zuvor vertrat er noch lautstark die Meinung, dass die Weltbevölkerung von bösen Mächten auf 500 Millionen reduziert werden soll.
Attila Hildmann bezeichnet Angela Merkel als Zionistin und er ist von einer zionistischen Weltverschwörung überzogen. Er scheint sich in den letzten Wochen sehr radikalisiert zu haben, lehnt die Bundesrepublik Deutschland als souveränen Staat ab und verbreitet nationalsozialistisches Gedankengut. Er ist ein bekennender Verleugner des Holocaust, hetzt gegen Juden.
Die Sozialpsychologin Pia Lamberty kennt das es aus der Geschichte, dass gerade verbunden mit Krankheiten, die Menschen immer wieder zu Verschwörungen neigen und auch die Verbindung zum jüdischen Volk ist dabei nichts Neues. Während der Pest wurde zum Beispiel die Behauptung verbreitet, die Juden hätten Brunnen verseucht und auch während der Spanischen Grippe oder bei Ausbrüchen von Ebola und des Zikavirus hat es Verschwörungsgeschichten gegeben.
Vielleicht hast du auch das irre, wirre Video gesehen, das Xavier Naidoo verbreitet hat, in dem er schniefend, weinend und wirklich total von Sinnen von Qanon erzählt hat…
Oder in der Schweiz das Video von Marco Rima, der mitten in der Nacht zu uns gesprochen hat und dabei einen total durchgedrehten Eindruck machte…
Michael Wendler, der mit solchen Ideen seine Karriere und auch diejenige seiner Frau riskiert…
In Ländern, in denen die Krise sich bisher in Grenzen gehalten hat, ist es einfacher, das Virus zu verleugnen oder an seiner Ernsthaftigkeit zu zweifeln, das ist nachvollziehbar, so z.B. in Deutschland oder in der Schweiz, wo viele Menschen immer mehr daran zweifeln, weil es bis jetzt glücklicherweise nicht sehr präsent war. In Ländern wie Italien oder den USA ist dies fast unmöglich, weil es da so unglaublich viele Kranke und Tote gab und nun wieder gibt. Dort haben die Menschen Covid19 und seine Folgen hautnah erlebt.
Dasselbe Phänomen war z.B. nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 zu beobachten. In Europa glauben viel mehr Menschen an Verschwörungstheorien als in den USA selbst.
Ich habe in meiner beruflichen Tätigkeit viel Erfahrungen mit psychisch kranken Menschen gesammelt. Ich habe psychotische Menschen erlebt, auch manische Menschen. Und ganz ehrlich, all diese schrägen Theorien klingen für mich zum Teil wie genau solche Wahnvorstellungen. Ich finde das wirklich sehr tragisch und auch schlimm, denn gerade Menschen in der Öffentlichkeit haben viel Gehör, haben Menschen, die sie verehren und ihnen glauben. Und das ist nicht nur schlimm, sondern auch gefährlich.
Ich höre und lese in Diskussionen von sogenannten Corona-Gegnern immer wieder die Aussage „hört doch auf, Panik zu machen“, mit der eigentlich suggeriert werden soll, dass Menschen, die sich an die vorgegebenen Massnahmen halten, Angst oder gar Panik hätten und sich genau deswegen an eben diese Massnahmen halten. Aber ich glaube ehrlich gesagt, dass das genau andersrum ist. Ich glaube, dass die Realität bei den Corona-Gegnern Panik auslöst, nicht bei den andern. Angst vor dem Virus selbst und auch Angst vor möglichen Veränderungen, vor Einschränkungen. Und wie erwähnt, Angst davor, die Kontrolle zu verlieren.
Es wird immer wieder gesagt, dass die, die sich an die Massnahmen halten und diese auch vertreten, doch zuhause bleiben sollen, damit alle andern frei sein können. Dabei wird an kranke und alte Menschen gedacht, natürlich. Davon abgesehen, dass es eine Frechheit ist, diese Menschen sozusagen wegsperren zu wollen, weil es für einen selbst bequemer ist, ist diese Annahme sowieso falsch. Klar sind sie ein Teil der Risikogruppe. Aber sehr, sehr viele Menschen, die einer Risikogruppe angehören, leben mit einer Krankheit wie Asthma oder was auch immer und leisten ganz normal und uneingeschränkt täglich ihre Arbeit. Gute Arbeit. Wichtige Arbeit. Überall. Sie sind Ärzte, Pfleger, Feuerwehrleute, Betreuungspersonen, sie arbeiten in Läden, an Tankstellen, Chauffeure, im Reinigungsdienst usw. Ohne sie würde sehr vieles zusammenbrechen. Und wer würde ihnen den Erwerbsausfall bezahlen?
Ich denke, dass sehr viele Firmen eh nicht genug Personal haben, um es sich leisten zu können, dass einige davon zuhause bleiben. Was passiert denn dann? Wird kategorisiert? Werden nur noch sogenannt gesunde Menschen eingestellt? Menschen mit Diabetes, Bluthochdruck, ehemalige Krebspatienten usw. haben in der Arbeitswelt keinen Platz mehr?
Wenn ich sage, dass ich denke, dass die meisten Firmen wohl einen ernsthaften Personal-Engpass erleben würden durch solche Massnahmen, dann denke ich auch, dass das passieren würde, wenn zuviele Menschen zur gleichen Zeit krank werden. Was, wenn im Seniorenheim drei, vier Angestellte zur gleichen Zeit erkranken? Was, wenn einige der BewohnerInnen auch noch krank werden, was dann ja naheliegend wäre, und mehr Pflege benötigen? Was, wenn dasselbe Szenario in Krankenhäusern statt finden würde? Oder in Läden? Bei der Feuerwehr? Bei der Polizei? In den Arztpraxen? In den Kinder- und Behindertenheimen? In Restaurants? In Produktionsbetrieben?
Zuviele Kranke werden der Wirtschaft ebenso schaden wie ein Lockdown. Zuviele Kranke werden die Geschäfte auch zum Erliegen bringen.
Darum geht es meiner Meinung nach darum, sich und andere möglichst zu schützen. Nicht mal nur darum, dass man nicht krank wird, sondern auch um zu verhindern, dass die Verbreitung sehr schnell stattfindet und das oben beschriebene Szenario entstehen könnte. Ausserdem finde ich auch, dass Menschenleben es wert sind, beschützt zu werden. Jedes Menschenleben.
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