Ich glaube, wir alle wünschen uns ja, noch möglichst viele Jahre vor uns zu haben. Möglichst viel noch erleben zu dürfen, bevorzugt natürlich schöne Erlebnisse, bereichernde Ereignisse und Freude. Und so soll es auch sein…
Je nachdem wie alt wir sind, haben wir schon vieles hinter uns. Viel Schönes. Augenblicke, von denen wir dachten, sie wären unvergesslich, sind in unseren Erinnerungen unterdessen auch nur noch schwach und vage. Fotos und das Davon-Erzählen helfen uns, die Erinnerungen einigermassen frisch zu halten.
Vieles erscheint uns im Nachhinein so schön, z.B. die Kindheit und die Jugend, obwohl wir es damals bestimmt nicht immer so empfunden haben. Schön, wenn wir uns vor allem an schöne Dinge erinnern können. Dürfen.
Ich glaube, diese schönen Dinge haben uns geprägt. Die damit verbundene Freude hat uns zu positiven Menschen gemacht. Menschen mit der Fähigkeit, sich zu freuen und zu wissen, dass das Leben schön ist. Immer wieder.
… dass das Leben schön ist. Immer wieder. Nämlich immer wieder, nachdem es uns durch Situationen führt, die wir als schwierig und negativ empfinden. Ich glaube, das Leben macht dies, um uns eine Entwicklung zu ermöglichen. Alles, was wir so schön konstruiert und aufgebaut haben rund um uns herum, wieder mal einstürzen lassen, um es neu zu gestalten. Klingt schöner als es im Moment ist, ich weiss. Und dennoch glaube ich, dass es oftmals genau so ist.
Ich erlebe es bei mir so, dass ich mich in Krisen entwickle. Weil ich muss. Nicht etwa, weil ich will, nein. Es ist schrecklich im Moment. Erst irgendwann später erkenne ich, was daraus entstanden ist.
Ich gehe davon aus, dass es allen so geht.
Ich wollte zuerst schreiben „erst irgendwann später erkenne ich den Sinn“, aber nein, das kann ich nun doch nicht behaupten. Es gibt zuviel, dessen Sinn ich nicht erkennen kann. Ich weiss nicht, ob ich es nicht verstehe oder ob es keinen gibt. Ich weiss es einfach nicht. Aber ich weiss, dass es in diesen Momenten nichts bringt, danach zu suchen – nach Antworten zu suchen – , denn es gibt keine.
Wenn ich oben geschrieben habe, dass schöne Erlebnisse uns prägen, so muss ich hier auch schreiben, dass auch unschöne Erlebnisse uns prägen und leider vielleicht viel stärker als die positiven. So kommt es mir jedenfalls vor. Wieviele Menschen gibt es, die sich nicht mehr öffnen mögen aus Angst vor Verletzungen? Wieviele leiden unter Ängsten, die sie im Alltag einschränken und so vieles verunmöglichen? Wieviel tun wir nicht, weil wir kein Risiko eingehen wollen, weil wir uns lieber in unserem sicheren Umfeld bewegen? Vielleicht kennen wir das alle… mehr oder weniger.
Wenn wir zurückschauen, sehen wir einiges. Unser ganzes bisheriges Leben oder das, was uns davon in Erinnerung geblieben ist. Und all das, was wir nicht sehen, wirkt mit.
Wer lebt, und das tun wir alle, erlebt leider nicht nur die wunderbaren Seiten des Lebens, sondern auch die schlimmen. Ereignisse, die uns erschüttern. Menschen, die uns verletzen und enttäuschen. Verlust und Schmerz.
Wir erinnern uns nicht an alles, denn nicht alles war wichtig.
Alles geht vorüber. Dinge, die wir toll finden im Alltag… schnell vorbei und schnell auch vergessen, denn es kommen Neue. Genauso verhält es sich mit negativen Momenten. Nur die Dinge, die richtig tief gehen, bleiben. Dinge, die grosse Emotionen in uns ausgelöst haben. Egal ob positiv oder negativ. Egal ob Ereignisse oder Menschen. Ich glaube, es kommt nur auf die Gefühle an, die wir hatten, denn diese werden wir nicht vergessen, vielleicht sogar nie.
Und diese Gefühle sind es, die unser Gehirn speichert. Es kann sie problemlos nach Jahren, Jahrzehnten noch hervor rufen, auch wenn es uns lieber wäre, es täte dies nicht. Die positiven sind dabei ja nicht das Problem. Aber all die andern, die können uns zurück in diese Situation führen, die für uns damals so schwierig war. Sie können uns schlaflose Nächte, Alpträume und Ängste bescheren.
Es wird oft gesagt, man solle die Vergangenheit hinter sich lassen. Abschliessen und weg damit. Ich glaube aber nicht, dass das geht, denn schlussendlich bin ich ein Produkt meiner Vergangenheit. Alles, was hinter mir liegt, hat mich geprägt und so geformt, wie ich heute bin. So trage ich sozusagen, meine Vergangenheit mit mir herum, bei jedem Schritt, bei jedem Atemzug. Und das ist etwas Gutes.
Es gibt aber Dinge aus unserer Vergangenheit, die uns plagen. Dinge, die nicht einfach irgendwann schwächer und schwächer werden, bis sie irgendwie vergessen werden. Es gibt einfach Sachen, die nisten sich in unserem Gehirn ein und bleiben. Manchmal ist dies uns sehr wohl bewusst, manchmal aber auch nicht. Solche Erinnerungen und Gefühle kommen dann irgendwann hoch und lähmen uns, sie tun weh, machen Angst oder bedrücken uns.
Das kann vieles sein… nicht verarbeitete Erlebnisse, Verletzungen und Enttäuschungen. Ich glaube, vieles davon hat mit Verlust zu tun. Oder vielleicht ist das nur bei mir so.
Es gibt Möglichkeiten, solche Dinge, die wie schwere Steine in uns liegen, zu zertrümmern. Alleine, mit Hilfe oder auch mit professioneller Hilfe. Da gibt es viele verschiedene Möglichkeiten und ich glaube, es gibt für jeden das, was er benötigt. Vielleicht werden diese grossen Brocken ganz beseitigt, vielleicht verkleinert. Ich glaube, beides ist gut.
Einfach ist es nicht, es ist sogar Schwerstarbeit. Psychische.
Und wenn man dann zurück schaut in die Vergangenheit, dann liegen dort aber keine grossen Brocken mehr herum. Keine, über die man nicht blicken kann. Keine, die so schwer aufliegen, dass wir daran fast ersticken. Die Sicht ist frei oder fast frei. Die kleinen Steine, die da noch sind, die hat jeder und die sind total okay. Über diese fällt man nicht, über diese stolpert man höchstens.
Sie sind der Ballast, den wir in unserem Rucksack mit uns tragen.
Ich glaube schon, dass es gut ist, vorwärts zu blicken und vorwärts zu gehen. Vorwärts. Das ist die richtige Richtung.
Ich glaube aber auch, dass es gut ist, zurück schauen zu können ohne Angst. Und das können wir, wenn wir uns mit dem Vergangenen – egal ob Situationen oder Menschen – versöhnen. Es akzeptieren wie es ist und es als einen Teil von uns anschauen, denn genau das ist es.
Kommentar verfassen