Wenn es dir wichtig wäre…


Wenn du ihm wichtig wärst, dann hätte er mehr Zeit für dich.
Für Menschen oder Dinge, die einem wichtig sind, hat man immer Zeit.
Wenn ich ihm etwas bedeuten würde, würde er meine Whatsapp schneller beantworten.
Sie würde sich mehr Zeit für mich nehmen, wenn sie mich gern hätte.
Für seine Freunde, lässt man jederzeit alles liegen und ist da.
Wenn sie keine Zeit hat zum Telefonieren oder Kaffee trinken, bin ich ihr egal.

Solche Sätze, Sprüche und Lebensweisheiten kursieren überall im Internet und werden auch im real life ganz gern ausgesprochen. Ich weiss nicht, ob jemand sowas auf mich bezogen denkt oder sagt, aber ich fühle mich innerlich tatsächlich konfrontiert damit bzw. ich bin mir bewusst, dass es Menschen gibt, die Gründe hätten für solche Gedanken.
Warum? Weil ich als alleinerziehende Mutter bzw berufstätige alleinerziehende Mutter tatsächlich echt wenig Freizeit habe und die muss ich wirklich sehr gezielt dafür nutzen, um mich zumindest ein wenig erholen zu können. Klappt noch ganz schlecht, muss ich dazu sagen. Aber besser, seitdem ich mit sozialen Kontakten total runtergefahren bin. Irgendwas leidet halt. Man kann nicht alleinerziehend sein mit Kind, Haushalt, Haustieren, allem Organisatorischen, Planerischen, Terminen usw plus berufstätig und denken, man hätte da dann noch weiss nicht wieviel freie Zeit übrig. Die ist super-knapp und kann nicht ausschliesslich mit Kontakten ausgefüllt werden, so schön das auch wäre. Und wie wichtig. Ich bin eine sehr gesellige Frau, ich brauche Menschen um mich herum total. Aber ich habe gemerkt, dass ich dabei total zu kurz komme und kaum noch Energie habe.

Mir fehlt vor allem Energie. Aber auch Zeit. Und das hat ja auch einen Zusammenhang. Also wo kann eingespart werden? Beruflich kann ich nicht runterfahren. Wenn, dann eher rauf, denn wer sonst verdient das Geld bei uns? Im Haushalt bin ich nicht perfektionistisch. Geht gar nicht. Aber mir ist es wichtig, dass es zumindest sauber ist, wenn auch nicht immer picobello aufgeräumt und klinisch rein. Und doch benötigt die Arbeit im Haushalt seine Zeit. In diesem Bereich kann ich vor- und nachgeben, was gemacht werden muss, muss aber, denn wer sonst würde es machen wenn nicht ich? Also wenn ich Dinge nicht erledige, sammeln sie sich an und werden mehr. Deswegen lasse ich lieber nicht zu viel liegen. Administrative Dinge, Planerisches und Organisatorisches sowie Termine, das ist nichts, woran etwas geändert werden kann. Dort bin ich sehr effizient und speditiv, aber was sein muss, muss sein. Entlasten kann niemand, denn ich habe weder einen Partner noch Familie.
Was dann noch übrig bleibt ist Freizeit. Zeit mit dem Kind zum Beispiel gehört da auch dazu. In dieser Zeit haben wir oft viel Spass, in dieser Zeit findet aber auch Alltag und Erziehung statt mit allem was dazu gehört, manchmal recht energieraubend. Und super-wichtig. Und wenn dann noch etwas übrig bleibt, ist das dann wirklich Freizeit. Es ist gleich null, muss ich gestehen.

Es ist mir unmöglich, alle Menschen die ich kenne und mag, in dieser Zeit zu kontaktieren oder zu treffen.
U.N.M.Ö.G.L.I.C.H.
Es gab Zeiten, da habe ich es versucht. Einfach, weil es mir auch wirklich wichtig ist. Aber ich kann das nicht mehr, ich bin einfach zu müde dafür. Einmal pro Woche telefonieren, zwischendurch mal schreiben geht fast immer und etwa einmal pro Woche jemanden treffen, mehr kann ich nicht mehr leisten, das wird mir dann einfach neben all dem anderen zuviel. Ich brauche meine kleine Freizeit zum Allein sein, Auftanken und auch zum Runterfahren, um zwischendurch nachts ein paar Stunden richtig schlafen zu können.
Das hat nichts damit zu tun, dass ich jemanden nicht gern habe oder dass mir jemand nicht wichtig ist. Es hat aber ganz viel damit zu tun, dass ich mir auch wichtig bin.

Also kommen wir zur oben erwähnten Aussage zurück:
Wenn du mich gern hättest, würdest du mich öfter anrufen.
Wenn ich dir wichtig wäre, hättest du Zeit für einen Kaffee mit mir.
Wenn es dir wichtig wäre, würdest du zurückrufen, wenn ich anrufe.
Wenn du wirklich wollen würdest, würde es mit einem Treffen längst klappen.

Genau.
Aber das mit dem keine Zeit haben, das ist keine Ausrede.
Ich finde diese Aussage total falsch. Und nicht nur das. Ich finde sie falsch, wertend und auch egoistisch. Ja, wirklich.

Menschen, die total andere Lebensstrukturen haben, verstehen das vielleicht nicht. Mir ist es bewusst, dass ich natürlich auch meine Prioritäten setze. Gerade, weil meine Zeit knapp ist. Ich schaue auch, wem ich wichtig bin. Wer meldet sich, obwohl ich nicht so viel Zeit und Kraft dazu habe? Wer hält an unserer Verbindung fest und wer lässt sie schlittern? Mit wem ist es schön und vertraut, auch wenn wir uns nicht wöchentlich sehen? Wer versteht mich und tut mir gut?
Sowas halt.
Ich glaube, diese Selektion nehmen andere Menschen auch vor bzw. ich finde, sie sollten, denn unsere Energie-Ressourcen sind nur begrenzt und wir sollten damit wie mit vielen andern Dingen auch, sorgfältig umgehen.
Warum ich – wie oben geschrieben – diese Aussage falsch, wertend und egoistisch finde?
Im Moment, in dem man jemandem sozusagen unterstellt, sich zu wenig Zeit für einen zu nehmen, geht man nur von sich aus. Ausschliesslich. Von seinen eigenen Bedürfnissen und schlussendlich auch vom Wunsch der Befriedigung derselben. Und dabei wird dann nicht berücksichtigt, dass der andere eventuell auch solche haben könnte. Oder Gründe. Oder Befindlichkeiten.
Weil man dem andern aus der eigenen Enttäuschung heraus oder weil man sich unfair behandelt fühlt, ohne nachzufragen eine böse Absicht unterstellt. Weil wir Menschen es so oft viel einfacher finden, in einer Absicht das negative zu sehen statt das positive oder zumindest das neutrale.
Weil diese Annahme eigentlich ziemlich unempathisch und oberflächlich ist.
Weil man vergisst, dass man nicht der Mittelpunkt der Welt ist und andere vielleicht auch gerade eigene Themen, Stress oder weissnichtwas haben und ihre Welt sich nicht nur um mich dreht.
Weil es einfach soooo viele Gründe gibt, warum sich jemand gerade nicht oder weniger meldet oder nicht so viel Zeit hat. Zum Beispiel wird ja soooo viel über Achtsamkeit und auch von Stressminderung und Runterfahren usw. gesprochen. Von Grenzen setzen und vom bei sich sein. Aber das alles ist ja nur so richtig toll, wenn es dann einem selbst nicht betrifft, wenn der andere seine Grenzen setzt.

Natürlich hat man je nach Lebenssituation mehr oder weniger Zeit, aber auch mehr oder weniger Lust und Energie für soziale Kontakte. Und je nach Lebenssituation kann es sich auch verändern, mit wem man gerade gerne zusammen ist. Das sind so oft auch Momentaufnahmen.
Dass man wirklich keine Zeit oder andere Prioritäten hat, hat ja meistens mit dem andern nichts oder nicht so viel zu tun, sondern nur mit mir selbst. Jeder hat viel um die Ohren, hat viele Verpflichtungen und der Tag hat manchmal zu wenig Stunden. Der Kopf ist zu voll und es ist schwierig, zur Ruhe zu kommen. Wir leben in einer hektischen Welt und jeder muss für sich herausfinden, was und auch wer ihm in seiner Freizeit gut tut.

Wenn sie mich gern hat, meldet sie sich wenn sie Zeit dafür hat.
Und wenn er sich nicht meldet, dann heisst das noch lange nicht, dass er mich nicht gern hat, sondern von tausend Varianten irgendwas.
Die meisten von diesen Gründen werden mit ihrem Leben zu tun haben und nichts oder relativ wenig mit mir.
Und falls er mich nicht gern hat und sich nie wieder melden möchte, dann wird er es mir schon sagen bzw ich werde es schon merken. Ohne Wertung oder Interpretation. Und es ist okay so, auch wenn ich gerne öfter Kontakt hätte.

Passiert mir auch zwischendurch, dass ich solche Gedanken habe, aber eigentlich nicht sooo oft, weil ich wirklich versuche, viel weniger zu werten so weit ich das bewusst steuern kann. Solche Gedanken werten übrigens ja nicht nur das Gegenüber, sondern eventuell auch mich ab, weil ich dann denke, ich sei es nicht wert oder die Gründe wären bei mir zu suchen.

Es gibt für alles Gründe. Und Hintergründe. In den meisten Fällen kennen wir sie nicht, möchten sie aber kennen und interpretieren. Interpretieren ist sehr oft nicht wertfrei. Und Interpretationen gibt es immer unendlich viele, ob dann der wahre Grund dazu gehört, weiss man nicht. Wenn es einen wirklich stört oder stresst, dann ist es wohl klug, gleich direkt nachzufragen was los ist.

Denn Klarheit ist immer viel angenehmer als Unklarheit.
Und nach Klarheit kann man einen Punkt machen und braucht sich danach keine weiteren Gedanken auszumalen.

Wenn ich schreibe ist das Freizeit, in der ich ungestört bin. Ich liebe es oft, sie schreibend zu verbringen, weil es dann ganz still ist und ich ganz ruhig werde und meine Gedanken auf dieses Thema, diesen Text fokussiert werden und all den Rest für ein paar Minuten ausblenden.

Und jetzt gehe ich zurück in den Alltag.

Danke fürs Lesen.

4 Antworten zu „Wenn es dir wichtig wäre…”.

  1. Ja, so ist es und es ist so wichtig, sich einen kleinen Teil der vorhandenen Zeit für sich zu reservieren um gesund und stabil zu bleiben.
    Manchmal ist es aber auch so, dass fehlende Zeit vorgeschoben wird. Habe ich auch schon erlebt und viele Jahre ausgehalten. Damit ist jetzt Schluss und es geht mir ohne diese Menschen jetzt wesentlich besser.

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  2. Ich bin da absolut bei dir.

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  3. Ich freue mich, dass du deine Zeit darauf verwendet hast das zu schreiben. Deine letzten Sätze sagen dass du diese geschriebene Zeit bewusst mit dir selber verbringst. Und dann hast du eben diese Form der Geselligkeit gewählt. Du bist in diesen Worten und wir hören dich.

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  4. Seit ich im Schichtdienst arbeite, kann ich diesen Text genau so unterschreiben. Manchmal GEHT es einfach nicht… und man kann es ohnehin NIE ALLEN recht machen 😉

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