neblig


Sind Erinnerungen an einen Menschen eigentlich schon Erinnerungen, wenn sie noch präsent und klar, fast lebensecht in unserem Gedächtnis existieren? Dann, wenn sie nichts anderes als weh tun und wir noch nicht so richtig verstehen können, dass er oder sie nun weg ist. Wenn wir noch ganz genau wissen, wie ihre Stimme geklungen und was sie immer gesagt hat. Welche Worte und Sätze typisch waren und welche Betonungen. Wenn man das, was man an dieser Person geliebt hat, so schmerzlich vermisst, als hätte sie einen Teil von uns rausgerissen und mitgenommen. Wenn man aus einem Reflex und einer Gewohnheit heraus anrufen will, um etwas ganz Wichtiges zu erzählen und im gleichen Moment realisiert, dass das gar nicht mehr geht. Wenn ihre Nummer immer noch gespeichert ist in unserem Handy, weil wir sie nicht löschen mögen. Wenn er dauern präsent ist in unseren Gedanken, weil er ein Teil unseres Lebens war und es in unserem Herzen und Kopf noch immer ist.

Oder werden Menschen erst zu Erinnerungen, wenn sie langsam verblassen? Vom aufziehenden grauen Nebel der Vergänglichkeit und der Endlichkeit des Lebens Jahr für Jahr ein bisschen mehr verschluckt werden, bis sie irgendwann nur noch ein irreales Konstrukt irgendwo in den Irrgängen unseres Gehirns sind? Verschwommen und von der neuen Gegenwart, dem Weiterleben und der Gegenwart und Zukunft bunt übermalt.

Ich habe Dinge vergessen, von denen ich wirklich nie im Leben gedacht hätte, dass ich sie jemals vergessen würde.
Eigentlich so ziemlich alle Erinnerungen an meine Mutter. Ich weiss nicht mal, ob das überhaupt normal ist, aber 24 Jahre alter, immer dicker werdender Nebel hat es möglich gemacht.
Ich habe vergessen wie mein Meerschweinchen Luna gerochen hat. Obwohl mein Gesicht bei ihrem Sterben in ihrem Fell vergraben war und ich mir geschworen habe, nie zu vergessen wie gut sie gerochen hat.
Ich habe vergessen wie es ist, zu jemandem zu gehören, Verantwortung und auch alles andere zu teilen. Umarmt zu werden, so dass man sich fallen lassen kann für den Moment und einfach gehalten wird. Einzuschlafen im Wissen, dass da noch jemand ist, der alles mit einem zusammen (er)trägt und sich deswegen 100% entspannen zu können.

Ich habe vieles vergessen. Und doch nicht genug, um nicht mehr deswegen traurig zu sein. Nur manchmal.


3 Antworten zu „neblig”.

  1. Dein erster großer Absatz ist mir wie aus dem Herzen geschrieben. Mein Vater ist Ende August des letzten Jahres gestorben – er war der wichtigste Mensch, der beste Freund in meinem Leben.

    Ich weiß nicht, wie viel an Erinnerungen verblassen wird. Einiges sicher. Das weiß ich von früheren Verlusten. Aber ich weiß auch, zumindest ist das bei mir so, dass immer einmal wieder ganz plötzlich ganz klare Erinnerungen wiederkommen, von denen ich glaubte, dass sie längst verschwunden wären.

    Viel hängt wohl davon ab, wie viel und wie intensiv uns jemand oder eine Sache, ein Geschehen etwas bedeutet hat, als es noch bei uns war, uns noch umgeben hat.

    Manches kann ich auch gar nicht vergessen. Und wenn das irgendetwas Schönes, Wichtiges war, dann stellt sich, ohne mein Zutun, immer Traurigkeit ein, wenn ich mich daran erinnere. Und manche Erinnerungen sind so sehr präsent …

    Danke für den interessanten und anregenden Text. – Ich lese oft bei Dir, Du schreibst nie langweilig und nahezu immer über Themen, die zum Nachdenken anregen. – Leider komme ich so selten dazu ein paar Worte hier zu lassen, so wie heute, oder auch nur ein Zeichen …

    Viele liebe Grüße an Dich!

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  2. Als junger Mensch habe ich nie gedacht, dass alles irgendwann zu Ende geht. Ob es nun die Familie ist, die Freunde es sind, die Kinder…sie bleiben nicht. Je länger sie fort sind, desto öfter kommt der ‚Weichzeichner‘ und malt selbst das Negative positiv. Dann möchte man nur eine einzige Stunde erleben, wo die Menschen unseres Lebens anwesend sind. Einmal noch mit ihnen reden! Egal ob Mensch oder Tier, sie kommen nicht wieder. Nur die Erinnerungen bleiben, sind Teil deiner Gedanken. Ich glaube, Menschen und Tiere, die einmal verbunden waren, werden wieder zusammen kommen. Liebe Grüße, Gisela

    Gefällt 2 Personen

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