An wen wir geraten, wenn wir in Not sind


Seit vielen Jahren bin ich in der Betreuung tätig. In der Betreuung von Menschen, die darauf angewiesen sind, dass jemand diese Aufgabe sorgfältig und kompetent ausübt, sie in ihren Anliegen und Bedürfnissen ernst nimmt und sie wenn nötig gegen aussen vertritt, begleitet und gegebenenfalls Dinge für sie übernimmt. Es gibt da ja ganz unterschiedliche Tätigkeitsfelder, unterschiedliches Klientel und auch da unterscheidet sich jeder und jede wieder vom andern. Aus diesem Grund (unter anderem) ist mein Beruf aus meiner Sicht besonders interessant, abwechslungsreich und spannend und manchmal auch besonders anstrengend, wenn ich ehrlich bin.
Egal, wo man arbeitet als Sozialpädagogin, sei es mit Kindern oder Jugendlichen, Menschen mit Suchtproblemen, im Strafvollzug, mit unterschiedlichen und unterschiedlich starken Einschränkungen, mit Frauen, mit Männern, mit Asylanten und Asylantinnen, mit Menschen mit psychischen oder körperlichen Erkrankungen, mit Opfern, mit Täterinnen oder Tätern usw und egal ob in Schulen, Beratungsstellen, Institutionen, man hat immer mit Menschen zu tun, die diese Unterstützung brauchen, um zurecht zu kommen. Mit Menschen, die, wenn man es so sagen kann, nicht nur auf diese Dienstleistung angewiesen, sondern sogar auch abhängig davon sind. Nicht selten für eine längere Zeit oder für immer.

Etwas, was ich dazu sagen möchte ist, dass es absolut jedem passieren kann, in eine hilfesuchende oder hilfebrauchende Situation zu kommen. Das kann ebenfalls für eine Phase sein, das kann aber auch für länger oder immer sein. Etwas, das unser Leben nachhaltig verändert, kann so schnell passieren. Manchmal von einer Sekunde auf die andere.
Vielleicht kann sich das nicht jeder und jede vorstellen, aber es ist tatsächlich so. ZB ist es uns allen jederzeit möglich an Körper, Psyche oder gar beiden zu erkranken. Dabei gibt es unendlich viele Möglichkeiten, einige wie bereits geschrieben, vorübergehend und heilbar, andere leider nicht. Jeder von uns kann jederzeit einen Unfall erleiden mit schwerwiegenderen Folgen. Eine Gewalttat, ein Übergriff, ein Schicksalsschlag. Jeder von uns kann in eine persönliche Krise kommen, sei es durch eine Veränderung bei der Arbeit oder durch deren Verlust oder durch eine andere schwierige private Situation, ein Todesfall, eine Trennung, irgendwas. Oder in eine Situation, die wir einfach momentan schwierig finden, zB in der Erziehung, ein Suchtproblem, in der Beziehung, finanziell usw. Es gibt viele Szenarien und längst nicht alle betreffen uns direkt und können uns und unser Wohlbefinden dennoch stark tangieren.
Meistens sind solche Situationen vorübergehend und wir haben die persönlichen Fähigkeiten und Ressourcen, uns selbst wieder aufzufangen. Das sind sogenannte Krisen. Sie gehen vorüber, je nach Situation und auch je nach persönlichen Ressourcen schneller oder langsamer. Mit oder ohne Unterstützung von aussen. Und da hat man zB die Möglichkeit aus einem sehr vielfältigen Spektrum an unterstützenden Massnahmen, von Beratungen und unterschiedlichen Therapie- und Betreuungsmöglichkeiten zu wählen. Jede mit dem Ziel, möglichst 100%iges Wohl, Gesundheit und Selbständigkeit wieder zu erlangen.

Vor drei Jahren habe ich es erlebt, dass ich eine für mich recht schwierige persönliche Phase durchlebt habe, in der sich mein gesamtes Leben auf den Kopf gestellt hat. Es war nur eine Phase und ich habe mich in dieser während einer kurzen Zeit in der hilfesuchenden Position erlebt. Ich habe dabei unterschiedliche Erfahrungen gemacht und ganz viele davon sind sehr positiv und ich finde, so sollte es sein.
Ich habe aber auch die Erfahrung gemacht, dass es gar nicht so einfach ist, für eine Beratung an die richtige Stelle bzw an die richtige Person zu geraten, was ich als sehr schwierig empfunden habe in dieser Situation. Ich habe in dieser Hinsicht Gutes, aber auch Grottenschlechtes erlebt von Institutionen, die sich soziale Institutionen nennen.
Jedenfalls ist es doch so, wenn man sich ein Bein bricht, dann braucht man einen Gehstock, der uns stützt und hält oder zumindest mal einen Holzstock, einen Stuhl zum hinsetzen, einen Verband oder irgendwas, was uns für den Moment grad weiterhilft. Eine Beratungsperson, die einem sagt, dass die Schmerzen im gebrochenen Bein nicht so schlimm seien oder uns droht, wenn man nicht normal weiter geht, das Bein zu amputieren und das andere auch noch dazu, das ist kontraproduktiv und weder hilfreich noch die passende Lösung.
Es ist bei andern, nicht für jeden sichtbaren Problemen nicht anders.

Aber ich weiss, auch die, die da in beratenden Positionen sind, sind Menschen, mit ihren eigenen Rucksäcken auf dem Rücken und Launen, Situationen und mehr oder weniger Lust auf diesen Job. Und auch mehr oder weniger geeignet vermutlich. Normal. Nur dürfte das der Klient oder die Klientin nicht mal merken, sondern sie sollte jederzeit kompetent und wertfrei beraten werden.
Offenbar ist das nicht selbstverständlich. Ich war da kein Einzelfall. Im Gespräch mit so einigen Menschen in ähnlichen und ganz andern Situationen habe ich erfahren, dass auch sie es nicht anders erlebt haben.

Das möchte ich nicht.
Ich möchte nicht, dass Menschen in Not so behandelt werden!

Ich möchte gerne, dass hilfesuchende Menschen an Menschen geraten, die auch tatsächlich hilfreich sind. Ich meine da eigentlich auch jetzt nicht einfach andere Mitmenschen, Nachbarn, Freunde oder irgendwen, sondern Personen in sogenannt helfenden Berufen. Also, dass wenn man sich an eine Beratungsstelle wendet, egal welche und wo, dass einem weitergeholfen wird und wenn das nicht möglich ist, dass einem gesagt wird, an wen man sich wenden kann und vor allen Dingen, dass man dort einfach ernst genommen und wertschätzend behandelt wird.

Es ist ja irgendwie mein inneres Ziel, dass ich etwas verändern kann irgendwann und irgendwo. Das war es schon vorher, aber nun auf diese Erfahrung zurückblickend, erst recht. Mir ist es wirklich ein Anliegen, dass Menschen ernst genommen werden und dass niemand ausgeschlossen wird oder Angst hat, ausgeschlossen zu werden, egal warum. Und halt wie gesagt, dass hilfesuchende Menschen oder auch Menschen, denen es nicht mal mehr möglich ist, überhaupt Hilfe anzufordern, nicht an andere Menschen geraten, die mit ihrem Verhalten da etwas schlimmer machen als es eh schon ist. Es ist nämlich dabei nicht zu vergessen, dass es Mut und ganz schön viel Überwindung kostet, über sowas zu sprechen, zu weinen, sich zu öffnen. In diesen Situationen ist man manchmal nicht mehr ganz sich selbst, ist sehr emotional, durcheinander, besorgt oder / und geschwächt.
Statt Krisen als zum Leben gehörend zu akzeptieren, werden sie auch heute noch als Schwäche, „etwas stimmt mit dir nicht“ und „MIR könnte das ja nie passieren“ angesehen.

Ich habe vor kurzem in einer Gruppe von Menschen von einem Anliegen erzählt, das von andern an mich herangetragen wurde. Jemand in der Gruppe hat darauf geantwortet, SIE habe das nie so erlebt und damit war das Thema dann auch von Tisch. Ich habe mich später über mich selbst geärgert, dass ich nicht reagieren konnte, denn wenn auch mich etwas kein Thema ist, heisst es noch lange nicht, dass es das für andere nicht ist.
Mir geht es immer wieder so auf den Sack, dass es Menschen gibt, die etwas selbst erlebt haben müssen und zwar genau 1:1 (was ja sowieso gar nicht möglich ist), um zu verstehen, um empathisch zu sein. Ich finde es einfach schwierig, das zu verstehen und ich sehe bei mir, dass ich nicht alles erlebt haben muss, um mir vorstellen zu können, dass das schlimm ist. Oder halt zumindest dass ich die Haltung habe, wenn die andere Person das als schwierig empfindet, dann ist es das, wenn auch nur für sie.
Ich finde, die Haltung „es betrifft mich nicht, also ist es nicht“ widerspiegelt sooooo die Zeit in der wir leben, die Situation, in der wir leben.

Man kann sich ja nicht um alle und um alles kümmern und auch nicht für alles interessieren. Mich interessiert vieles und ganz besonders interessieren mich Frauen (Männer auch), die in der Situation der Trennung sind.
Meine Erfahrungen in der Auflösung meiner Ehe waren betr. Hilfestellungen und Perspektiven-Schaffung bzw in der Unterstützung darin wirklich etwas durchzogen und das ist genau das, was jemand in dieser Situation nicht braucht. Neben all den Gefühlen, der Trauer, der Enttäuschung, dem Liebeskummer ist man meistens dann als Frau noch in einer existentiell sehr schwierigen Situation. Und nicht nur das. Man hat ja noch Kinder an der Hand, die ebenfalls unterschiedlich reagieren. Man hat also kein Boden mehr unter den Füsse für einige Zeit und gibt trotzdem den Kindern Boden und Halt. Im besten Fall hält man seine Gefühle, seine Tränen und Wut in sich gefangen oder lässt sie nur raus, wenn die Kinder nicht da sind. Was für eine grosse Leistung ist das denn bitte?

Es ist meine Vision, Frauen in dieser Situation zu unterstützen. Mit meinem beruflichen Wissen und meiner persönlichen Erfahrung. Ihnen den oben genannten Gehstock oder einen Schemel zum sich mal ausruhen zu reichen, ihnen zu sagen, an wen sie sich wenden können für die verschiedenen Dinge, die geklärt werden müssen und an wen, um eine hilfreiche Beratung zu bekommen. Einfach zu unterstützen, damit diese Situation nicht aussichtslos wird, dass das Ende des Tunnels näher und heller wird und nicht wie es leider manchmal ist, entfernter und zugenagelt.

Vielleicht mach ich das irgendwann. Ich weiss nicht wo, ich weiss nicht wie und auch nicht wann.

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