
Ich weiss nicht, wie es dir geht. Aber ich persönlich finde es gar nicht so einfach, im Jetzt zu leben. Natürlich tu ich das, so wie jede*r andere auch. Jedenfalls physisch, es geht ja nicht anders, ausser man ist eine Zeitreisende. Das bin ich nicht. Jedenfalls nicht, dass ich wüsste. Uninteressant ist dieser Gedanke aber nicht.
Wohin würdest du zeitreisen, wenn du das könntest?
Wenn ich das Prinzip des Zeitreisens richtig verstanden habe, dann kann man in eine andere Zeit reisen, aber nicht an einen andern Ort. Logischerweise. Also ich wäre dann im Jahr 1810, 1461 oder 200 vor Chr., aber immer noch genau hier an der Stelle, wo ich jetzt grad bin.
Habt ihr mal den (alten) Film „Die Zeitmaschine“ gesehen? Ich glaube fast, es gibt noch eine neue Version, aber ich bin nicht sicher. Im alten jedenfalls sieht man ja immer dieses Schaufenster des Damenmode-Geschäftes, wo die Schaufenster-Puppe die Mode der jeweiligen Zeit trägt. So in etwa stelle ich mir das vor, Ich sitze hier am Tisch und die Zeituhr dreht sich zurück… Stunden, Tage, Jahre, immer schneller, Jahrzehnte und Jahrhunderte… und ich schaue mir das alles an.
Ich muss sagen, in die Zukunft zu reisen reizt mich wenig bis gar nicht. Wie Doris Day schon sang, was sein wird, wird sein und es ist nicht an uns, die Zukunft zu sehen. Ist vermutlich besser so, denn wie würden wir damit umgehen können, mit dem, was wir sehen? Wenn wir wüssten, was noch auf uns zukommen wird? Dinge, die ein Blick in die Zukunft uns ganz anders zeigt als wir sie uns jetzt wünschen?
Ich überlege mir hin und wieder, wie alles werden wird… Was wird aus mir? Wie wird mein Kind, wenn es erwachsen ist? Was wird aus ihr? Wie wird sie aussehen und was für eine Person wird sie sein? Klar wäre ein Blick in die Zukunft spannend, aber diese Entwicklung Schritt für Schritt mitzuerleben und zu begleiten, das ist noch viel spannender.
Der Blick in die Vergangenheit ist uns nicht verwehrt, so wie derjenige in die Zukunft. Wir wissen nicht mit Bestimmtheit, was morgen passieren wird, auch wenn wir vieles planen können und wir feste Abläufe und Termine haben. Aber wir wissen was gestern war, falls mit unserem Erinnerungsvermögen alles in Ordnung ist. Wir erinnern uns an unsere persönlichen Erlebnisse, an glückliche und leider wohl umso deutlicher an schlimmere. So manches, was wir gern vergessen würden, bleibt hängen. Dinge, die jemand irgendwann mal gesagt hat, um uns zu verletzen, Situationen, in denen wir scheiterten, die wir schwierig fanden oder die in uns besonders starke (negative) Gefühle ausgelöst haben.
Und wir dürfen nicht vergessen, dass uns alles genau so in Erinnerung bleibt, wie wir es damals erlebt und wahrgenommen haben. Oder wie es uns erzählt wurde.
Also. In die Zukunft würde ich nicht reisen wollen, wie gesagt. Jedenfalls nicht in meine und auch nicht in die meiner Tochter. Wenn, dann in eine fernere Zukunft. Mal schauen, was hier in 100 oder 200 Jahren so los ist, wie die Menschen dann leben. und aussehen. Das wäre nicht uninteressant.
In der Vergangenheit würde mich vieles interessieren. Momente meines persönlichen Lebens, aber auch bedeutendere Ereignisse oder Epochen. Ich würde in meine Kindheit zurück reisen, um meine Grossmütter noch einmal zu sehen. Und meine Eltern. Ich würde gerne sozusagen als Aussenstehende beobachten, wie ich als Kind war. Ich würde in Momente reisen, die ich bis jetzt nicht verstehe, um sie dann endgültig abzuhaken.
Ich würde gerne in die Zeit reisen, in der meine Eltern aufgewachsen sind und ihnen zuschauen. Und in die meiner Grosseltern.
Meine Tochter sagt, sie würde ins Mittelalter reisen, wenn sie eine Zeitreisende wäre.
Ich weiss nicht, wohin ich tatsächlich reisen würde, auch wenn ich einiges in der Geschichte der Menschheit interessant finde. Die Frage ist nur, möchte ich sowas tatsächlich live miterleben? Sehr oft sind es die schlimmen Ereignisse, die Geschichte geschrieben haben. Kriege, Schlachten, Katastrophen, Tragödien, grosse Verbrechen… ich würde nichts davon live miterleben oder sehen wollen.
Aber ich würde gerne zuschauen, wie die Pyramiden der Inkas und der Mayas erbaut wurden und erfahren, welche Überlegungen sie sich dabei gemacht haben.
Ich würde gerne auf der Titanic stehen, wenn sie den Hafen in Southhampton verliess, all den Menschen zuwinken, wissend, dass hier etwas ganz Besonderes passiert. Dann würde ich das Schiff aber verlassen, auch wissend, was passieren wird.
Ich würde gerne nach Famagusta (Zypern) reisen, um zu sehen was dort 1974 passiert ist, als die Einwohner der Stadt ihr Zuhause offenbar sehr plötzlich verlassen mussten.
Ich würde sowieso gerne in alte, verlassene Bauten oder Ruinen reisen. Zum Beispiel ins Dunnotter Castle in Schottland, etwa im Jahr 1700.
Oder ins Schloss Neuschwanstein, etwa 1860, um König Ludwig II. zu beobachten. Oder in alte Gebäude, in denen zB Psychiatrien beherbert waren. Ich hatte vor vielen Jahren mal die Gelegenheit, eine solche alte Psychiatrie zu besichtigen und es war erschreckend und faszinierend gleichzeitig.
Ich würde nach England ins Harlaxton Manor reisen wollen, um zu sehen, wie es dort früher war.
Ich würde rund 4000 Jahre zurück reisen, um südlich von London Stonehenge zu besuchen. Oder auch andere Steinkreise.
Oder ins alte Rom, um all die prachtvollen Bauten in vollem Glanz zu bestaunen. Ebenfalls würde es mich interessieren zuzuschauen, wie Hadrians Wall gebaut wurde.
Ich möchte gerne Kleopatra live sehen. Und die Beatles. Frido Kahlo und natürlich vor allen Dingen Vincent van Gogh. Er würde mich malen und dieses Gemälde würde nun im Louvre in Paris hängen. Genau neben Mona Lisa. Genau so wäre das. Und ich würde ihm sagen, er soll sein Ohr lieber nicht abschneiden.
Es gäbe noch vieles…. Mich interessieren auch wie gesagt viele Dinge, die zu sehen ich vermutlich nicht ertragen könnte. Und in diese Zeit zu reisen, würde mir zuviel Angst machen, weil ich dort wohl auch nicht sicher wäre. Zum Beispiel der Zweite Weltkrieg und wie diese Zeit hier in Luzern erlebt wurde.
Ich würde gern Martin Luther King reden hören. Ich würde gern Jim Morrisson singen hören und ich würde gern den jungen Johnny Depp kennen lernen. Ja, ja… Ich würde gern einen richtigen Dinosaurier sehen und im Mittelalter einen Markt besuchen. Ich würde gern sehen, wie man früher psychische Erkrankungen versucht hat zu heilen und es würde mich sehr schocken, das ist klar. Ich würde auch gern Florence Nightingale kennen lernen.
Es gibt ja Menschen, die sagen, dass sie zB zum ersten Mal Paris besuchen und plötzlich fliessend französisch sprechen und sich dort überall auskennen und wie zuhause fühlen. Dann denken sie, sie wären in einem früheren Leben dort gewesen.
Ich habe nicht das Gefühl, dass ich sowas glaube, aber was weiss ich schon… Ich habe eher das Gefühl, dass es Orte gibt, die man ganz besonders fühlt, warum auch immer.
Ich habe das im oben genannten Dunnotter Castle in Schottland ausgeprägt erlebt. Das ist ja heute nur noch eine Ruine. Wir waren stundenlang dort und in jedem Raum – bzw was davon übrig ist – dieser Burg fühlte ich Vergangenes und hatte in Gedanken, wer hier wie gelebt haben könnte. Ein ähnliches Gefühl hatte ich bei einem grossen Steinkreis irgendwo in Schottland. Leider habe ich vergessen, wie er heisst. Irgendwo in der Nähe von Aberdeen. Ich sass für eine ganze Weile auf einem dieser Steine und fühlte irgendwie nur. Hört sich bestimmt psycho an… Ich weiss nicht, ob einfach mein Interesse dieses Gefühl auslöste oder ob es die Aura dieser Orte war.
Diese beiden Orte sind nicht sehr weit voneinander entfernt. Wir haben auch in Fischerort Stonehaven einen Halt gemacht und am liebsten wäre ich einfach dort geblieben. Der schönste Ort der Welt. Gefühlt ist er das auch 15 Jahre später immer noch, auch wenn ich nicht mehr sagen könnte, warum.
Da war einfach irgendetwas Besonderes.
Ich glaube, es ist gut, die Vergangenheit zu wertschätzen, egal ob meine oder die unserer Gesellschaft, unseres Planeten. Weiter zu gehen, zu verarbeiten und auch Dinge hinter uns zu lassen, aber auch dennoch nicht zu vergessen. Erinnern empfinde ich als sehr, sehr wichtig.
Und ich glaube, es ist auch wichtig, in die Zukunft zu schauen. Das heisst, so zu leben, damit wir uns selbst und uns allen den Boden ebnen für eine gute Zukunft oder halt überhaupt für eine Zukunft. Auch zu wissen, dass nicht nur das Selbst und das Jetzt in unserer Verantwortung liegt, sondern auch das Morgen und Übermorgen.
Zukunft ist unendlich viel mehr als ein kleines Menschenleben.
Und bei all dem auch achtsam im Jetzt zu sein. Neben den Erfahrungen der Vergangenheit und den Gedanken an die Zukunft das Hier auch tatsächlich zu leben und auch zu wissen und zu geniessen, was man hat.
Es tut ganz gut, mit dem Kopf und dem Herzen immer öfter auch genau hier, wo der Körper ist, zu sein.
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