Von bleibenden und verblassenden Erinnerungen


Was wäre ich für eine Farbe,
wenn meine Aura für alle sichtbar wäre?

Was wäre ich für ein Ton, was für ein Lied,
wenn meine Gedanken eine Melodie wären?

Was wäre ich für ein Gefühl,
wenn ich das wäre, was ich in andern auslöse?

Was wäre ich für ein Wort, was für ein Buch,
wenn man meine Persönlichkeit lesen könnte?

Was bin ich für ein Geruch,
jetzt
und wenn man sich an mich erinnern wird, wenn ich irgendeinmal für immer weg bin?

Ist der Gedanke an mich oder wäre die Erinnerung an mich hell oder dunkel?
Glücklich oder traurig? Düster oder fröhlich?
Was werden die Menschen eines Tages über mich denken, wenn sie an meinem Grab stehen?
Was denken sie JETZT überhaupt über mich? Oder über dich? Wissen wir das? Oder ahnen wir es nur, wenn überhaupt?

Ich erinnere mich zum Beispiel an mein Grosi (Oma), wenn ich Fenial rieche.
Es ist ein schöner Duft, weil sie so gerochen hat. Jedenfalls in meiner Erinnerung.
Ich habe mir tatsächlich ein Fläschchen Fenial-Parfum gekauft, nur um zwischendurch daran riechen zu können.
Ich habe vor ein paar Wochen eine vegane Handcreme von Ponyhütchen (sehr empfehlenswert!!!!) geschenkt bekommen und die riecht nach Kokos. Aus irgendeinem Grund erinnert auch sie mich an mein Grosi. Ich liiiiiiiebe sie.
Die Erinnerung ans Grosi ist mit all den schönen Erinnerungen an meine Kindheit verbunden. Ich glaube, sie ist eine Frau, die mich sehr geprägt hat.

Das mit der Erinnerung ist so eine Sache. Und das mit dem Vermissen auch, denn wenn man sich nicht erinnert, weiss man nicht was man vermisst oder vermissen soll. Oder man vermisst eine Erinnerung, eine Leere.

Ich hatte immer Angst davor, mich eines Tages nicht mehr an meine Eltern erinnern zu können. Nicht direkt an sie selber, man vergisst ja nicht einfach seine Eltern. Aber an einzelne Merkmale von ihnen oder einfach daran, was sie ausgemacht hat. Es ist doch so wichtig, sich zum Beispiel an die Stimme zu erinnern, denn eine Stimme ist etwas sehr einzigartiges und persönliches. Und das kann ich nicht mehr. Ich höre die Stimme meines Vaters oder meiner Mutter nicht mehr in meinem Kopf, es geht nicht mehr. Ich weiss nicht mehr, wie sie geklungen haben. Sie sind vor 22 und 13 Jahren gestorben, Tonaufnahmen per Handy waren damals noch nicht so verbreitet wie heute bzw. gar noch nicht möglich. Also ich habe so etwas von ihnen nicht.

Damals als mein Papa gestorben ist, war es meine Aufgabe, seine Wohnung bzw. halt auch die Wohnung meiner Familie, wo ich früher als Jugendliche gewohnt habe, zu räumen und zu leeren. In der Überforderung des Moments habe ich, so empfinde ich es heute, viel zu viel entsorgt. Heute wäre ich zB sehr froh, wenn ich den Christbaumschmuck noch hätte, weil das doch ein Stück Nostalgie ist. Oder das gute Service meiner Mama, das sie zur Hochzeit geschenkt bekommen hatten. So richtig schönes Porzellan mit Goldrand. Ich mag ja so altes Geschirr sehr und schaue mich immer mal um, ob ich etwas Schönes finde. So sah ich vor kurzem lustigerweise das ganze Service auf Ricardo (sowas wie Ebay, aber in der Schweiz). Leider wahnsinnig teuer. Ich habe dann nachgefragt, ob ich nur ein Tellerchen und eine Tasse kaufen dürfe, bekam aber keine Antwort. Das hätte ich eigentlich aber schon gerne gehabt.
Meine Mutter hatte zwei alte Hummel-Figuren und die habe ich nun. Ich mag die, wohl aus sentimentalen Gründen. Eigentlich hätte ich ganz gerne noch mehr davon, aber die sind wirklich schweine-teuer.

Als mein Papa gestorben ist, habe ich sein Auto übernommen. Ich hatte darin immer das Gefühl, ihm besonders nah zu sein, sass ich doch da wo er vor kurzem noch gesessen ist. Meine Hände auf dem Steuerrad, genau dort wo seine auch waren. Es klingt bestimmt irr, aber ich hatte für eine ganze Weile im Auto das Gefühl, dass er da ist. Und ich habe einen grossen Teil des Trauerprozesses im Auto gemacht. Immer wieder geweint ob all diesen Gefühlen, der Nähe, die ich fühlte und das Wissen, dass er nicht mehr da ist.
So war es für mich dann auch gar nicht so einfach, sein Auto wegzugeben. Seine Autonummer (bei uns ist das Nummernschild personenbezogen, also ich habe mein Leben lang meine Autonummer) wurde dann auf meinen Mann überschrieben. Unterdessen sind wir getrennt und der bürokratische Aufwand und die Kosten haben mich davon abgehalten, sie auf mich überschreiben zu lassen, obwohl das eigentlich schön gewesen wäre. Das finde ich schon immer noch schade manchmal.

Unter anderem habe ich in einer Erinnerungskiste auch immer noch das Portemonnaie von meinem Papa. Das finde ich auch etwas sehr persönliches. Darin hatte er ein kleines Notizzettelchen mit meiner Handy-Nummer drauf. Handgeschrieben von ihm. Dieses Zettelchen hängt nun seit November 2007 an einer Pinnwand in meiner Wohnung und unterdessen ist es leider so verbleicht, dass man kaum noch etwas sieht.
Die Schrift ist in den letzten Jahren immer mehr verblasst und es scheint mir fast, meine Erinnerungen auch. Ich erinnere mich an vieles nicht mehr und das andere ist, dass die Erinnerungen, die ich noch habe, nicht mehr in die heutige Zeit passen. Ich kann mir meine Mutter 22 Jahre älter nicht vorstellen. Sie ist als relativ junge oder mittelalte Frau gestorben und wäre nun eine pensionierte, alte Frau. Kann ich mir überhaupt nicht vorstellen.
Meinen Vater hingegen kann ich mir gut vorstellen. Sein Tod ist „erst“ 13 Jahre her, alles ist noch frischer und näher als bei Mutter. Er war 67 und wäre diesen August 81 geworden. Ich kann es mir so gut vorstellen, wie er als Grosspapi für meine Tochter wäre. Wieviel Freude er an ihr hätte und sie an ihm. Schade, dass wir das nicht erleben dürfen. Schade, dass sie ihre Schweizer Grosseltern nicht kennenlernen durfte und die Grosseltern sie nicht. Meine Eltern sind damals ja gestorben ohne zu wissen, ob ich jemals Kinder haben werde. Mein Vater war an der Hochzeit dabei, aber schon sehr krank, meine Mutter ist viele Jahre vorher gestorben.

Immer am ersten Sonntag im Oktober halten wir das Jahresgedächtnis für meine Eltern. Bis vor ein paar Jahren waren auch meine Grosseltern noch miteinbezogen, nach so vielen Jahren macht man das aber nicht mehr. An sie denken kann man ja trotzdem. Seit vielen Jahren bin ich immer die einzige von meiner Familie, die in die Kirche geht bzw fast die einzige. Eine Cousine meiner Mutter ist auch jedesmal dort, was ich sehr schätze. Und natürlich meine kleine Tochter. Mir ist es sehr wichtig, auch auf diese Art, das Andenken an meine Eltern zu bewahren, obwohl ich nicht von mir behaupten würde, dass ich wahnsinnig religiös bin. Für mich bedeutet das irgendwie auch, ihnen meine Ehre zu erweisen und mich zu bedanken.

Das Grab meiner Mutter wurde schon vor Jahren entfernt und irgendwann in den nächsten Jahren passiert dasselbe mit dem meines Vaters. Das ist so im Leben. Irgendwann erinnert nicht mehr so viel an uns, nur noch das was wir in den Herzen und Köpfen anderer Menschen gepflanzt haben, so wie kleine Pflänzchen.
Sie bleiben.

Und natürlich wir selbst, wir sind auch Erinnerung.





2 Antworten zu „Von bleibenden und verblassenden Erinnerungen”.

  1. Das sind schöne Worte der Erinnerung. Manchmal verblassen Erinnerungen in der Zukunft.

    Mit freundlichen Grüßen
    Miss Katherine White
    work – life – balance
    https://www.miss-katherine-white.com/mein-blog-ist-jetzt-1-jahr-alt/

    Gefällt 1 Person

  2. Was für schöne, sanfte Worte der Erinnerung!

    Gefällt 2 Personen

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