Suizid


Es gibt Dinge, die lese oder höre ich und bin zutiefst erschüttert. Viele Dinge. So ging es mir gestern zum Beispiel mit der Nachricht in den Medien, dass eine Mutter aus Deutschland nach Zürich gefahren ist, um dort sich und ihre 4jährigen Zwillinge zu töten bzw alle drei tot in ihrem Auto gefunden wurden. Ein sogenannter erweiterter Suizid oder Mitnahmesuizid. Oder halt Mord und dann Suizid. Man kann es nennen wie man will, es ist und bleibt furchtbar.
Im Bericht hat noch jemand darüber geschrieben, aus welchen Gründen ein Elternteil so etwas macht bzw. machen könnte. Man sucht ja nach Erklärungen und auch immer nach einem Schuldigen.
So gibt es zum Beispiel Fälle, wo bei einer Scheidung der Elternteil, der auf die Kinder verzichten muss, sich und die Kinder umbringt. Dies wird so interpretiert, dass der Grund dafür ist, dem andern Elternteil die Kinder auch wegzunehmen. Also „wenn ich die Kinder nicht haben darf, dann soll der andere sie auch nicht haben“.
Zum andern habe ich bei diesem aktuellen Fall gelesen, dass es auch möglich ist, dass die Mutter geplant habe sich umzubringen und gedacht hat, die Kinder hätten ohne sie kein lebenswertes Leben mehr und sie aus diesem Grund mit in den Tod genommen hat. Aus Egoismus, stand im Bericht.

Schlussendlich sind all diese möglichen von Aussenstehenden gesuchten Gründe Hypothesen. Was ganz genau die Beweggründe waren, nimmt die Täterin oder der Täter immer mit ins Grab, ausser es wird ein Abschiedsbrief mit Erklärungen hinterlassen.
Ich bin mir bewusst, dass ich über dieses Thema ganz bestimmt zuwenig weiss, um die Hintergründe zu erklären und das ist auch gar nicht das, was ich beabsichtige. Ich glaube aber, dass wahrscheinlich zu fast 100% Menschen, die ihre Kinder und dann sich töten, keine bösen Monster sind, sondern es aus Liebe tun. Etwas anderes kann ich mir einfach irgendwie nicht vorstellen. (Und das was passiert ist, kann ich mir auch nicht vorstellen.)

Vermutlich klingt das nach schön Reden einer abscheulichen Tat. Aber das will ich nicht. Ich finde es unbeschreiblich furchtbar. Und auch unbegreiflich. Und das ist vermutlich auch genau der Krux an der ganzen Sache. Ich glaube, dass Menschen die nicht suizidal sind und es auch noch nie waren, diesen Zustand nicht verstehen können.
Ich kann es auch nicht. Aber ich möchte. Es interessiert mich, wie so vieles, was die Psyche des Menschen betrifft.

Meine persönliche Erklärung eines solchen Tatbestandes ist zum einen der suizidale Zustand dieser Mutter jetzt in diesem Beispiel und zum andern ihre Mutterliebe, ihre Muttergefühle und Verantwortung. Sie wollte ihre Kinder nicht im Stich lassen und in ihrem Zustand sah sie keine andere Lösung, als sie mit in den Tod zu nehmen.
Sich selbst nicht umzubringen war offensichtlich keine Option und sie wollte es ihren Kindern nicht antun, den Tod ihrer Mama so früh erleben und ohne sie aufwachsen zu müssen. All den Schmerz und all die Trauer. Natürlich hat sie den Kindern nicht nur das genommen, sondern gleich das ganze Leben. Die Chance auf Glück und schöne Erlebnisse. Und die Chance darauf, irgendwie mit dem Suizid ihrer Mama zurecht zu kommen und ihr eigenes Leben zu leben. Sie hat dem Vater der Kinder, falls vorhanden, und andern Angehörigen und schlussendlich auch ihren Zwillingen keine Chance gelassen auf ein gemeinsames Weiterleben. Sie hat vermutlich unsagbar viel Leid über einige Menschen gebracht.

Dass sie dies aus Egoismus oder Boshaftigkeit gemacht hat, kann ich mir irgendwie nicht vorstellen. Aber vielleicht wie gesagt aus Liebe und auch, um ihre Kinder zu schützen. Auch wenn das paradox klingt.

Man darf nicht vergessen, dass diese Frau suizidal war. Wir möchten es uns nicht vorstellen, wie das ist und ich denke, wir können das auch gar nicht. Versuchen wir es trotzdem. Da ist jemand in einer absoluten Ausnahmesituation. In einer psychischen Verfassung von vermutlich totaler Verzweiflung, wenn ihr mich fragt. Ich stelle es mir vor, als wäre das ein ganz böser, dunkler, schrecklicher Käfer im Gehirn dieser Menschen, der alle positiven Gedanken auffrisst und schwarze Tinte ausschüttet. Wie ein Octopus. Alles wird verschwommen und neblig. Dunkel. Es gibt keine klaren Gedanken mehr. Keine guten oder hoffnungsvollen. Der Käfer frisst und frisst und wird grösser und dicker. Er nimmt immer mehr Raum ein im Kopf dieses Menschen. Und noch mehr. Bis es nichts mehr anderes gibt. Nur noch diesen bösen, schwarzen, riesigen Käfer im Kopf dieses armen Menschen. Er frisst weiter. Und säht Angst in den Gedanken. Angst, Verzweiflung und absolute Hoffnungslosigkeit. Bis er irgendwann den ganzen Menschen besitzt. Und dann sagt er: Bring dich um.

Oder der kleine Rest Mensch in diesem vom Käfer bessenen Wesen bringt sich um, um ihm zu entkommen. Ich weiss es nicht.

Menschen, die Suizid begehen, tun ganz furchtbare Dinge. Was sie ihren Liebsten antun ist das eine. Ich glaube, so zurück zu bleiben, ist etwas vom Schlimmsten. Wir Menschen können besser mit etwas abschliessen oder etwas verarbeiten, wenn wir etwas verstehen. Aber wie soll man so etwas verstehen können? Ich weiss es wirklich auch nicht.
Aber wenn ich mir vorstelle, zu was diese Menschen fähig sind – also sich selbst tödliche Verletzungen zuzuführen – dann müssen sie zu diesem Zeitpunkt wirklich in einer für uns nicht nachvollziehbaren Verfassung sein. In einem furchtbaren Zustand.
Zum einen können wir alle froh sein, dass wir uns so etwas nicht vorstellen können. Oder müssen.
Zum andern tut es mir einfach so wahnsinnig Leid, dass es Menschen gibt, die sich so fühlen müssen. Ich muss sagen, wenn ich Superkräfte hätte und etwas verändern könnte auf der Welt, dann würde das dazu gehören. Ich möchte nicht, dass sich jemand in so einer aussichtslosen Situation sieht, dass die einzige Lösung der Tod scheint.
Der Tod ist nicht einzige die Lösung. Wir wissen das. Aber suizidale Menschen scheinen das nicht mehr zu wissen. Denn nur so aus einer Laune heraus legt sich niemand auf die Zuggleise und lässt sich überfahren. Oder erhängt sich. Oder erschiesst sich. Oder erstickt sich. Oder vergiftet sich. Oder wie auch immer sie es tun. Es ist Horror. Alles. Nichts davon ist easy. Ich würde mich nichts und wirklich gar nichts davon trauen. Niemand hat so viel Mut… Aber das, was in ihrem Kopf ist, scheint noch mehr Angst zu machen, als sich selbst zu töten. Wie unfassbar schlimm muss das sein?!?!

Natürlich gibts auch andere Situationen, zB die der Selbstmord-Attentäter, der Amokläufer. Die würde ich wieder anders erklären, wobei ich aber auch da denke, dass irgendwer oder irgendwas die Kontrolle über diese Menschen übernommen hat.

Das ist kein einfaches Thema. Ich kann relativ unbefangen darüber schreiben, weil ich keine direkten Erfahrungen damit gemacht habe. Aber ich kenne Menschen, die sich mit diesen Themen befassen müssen. Und das ist schwer. Ihr habt mein tiefstes Mitgefühl und auch mein vollstes Verständnis für all eure Gefühle.
Und auch die Menschen, die sich für den Suizid entschieden haben… Es erschüttert mich zutiefst. Und ich wünsche euch von Herzen die Erlösung und den Frieden, die ihr gesucht und hoffentlich gefunden habt.

Ich weiss nicht, ob man Suizide verhindern kann. Jedenfalls wohl nicht alle. Aber ich habe immer das Gefühl, wenn wir uns einander gegenüber wohlwollender verhalten, verständnisvoller und offener, würde das helfen. Wenn weniger geurteilt würde, weniger ausgegrenzt und mehr zugehört, dann würden wir auch mehr erzählen und vielleicht würde das in manchen Köpfen wieder mehr Hoffnung und freundliche Gedanken pflanzen und der schwarze Käfer würde verhungern…

Ich habe mir diesen Text jetzt viele Male durchgelesen und bin mir immer noch nicht sicher, ob ich ihn so veröffentlichen darf. Aber ich mache das jetzt und hoffe, dass ich deutlich genug zum Ausdruck gebracht habe, dass ich die Tat dieser Mutter nicht befürworte, dass sie jedoch mein Mitgefühl hat, weil sie offensichtlich in einer wahnsinnigen Notsituation war. Ich möchte sie nicht verteidigen oder entschuldigen.

Seid euch bewusst, dass diese Gedanken meine persönlichen sind. Ich weiss nicht, ob sie richtig oder falsch sind oder ob es das überhaupt gibt.

https://www.143.ch


7 Antworten zu „Suizid”.

  1. Danke, ich schaue da gern rein.

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  2. Auf meinem Blog/ in meinem Buch habe ich einen Versuch dargestellt, mein ganz persönliches Erlebnis mit Angehörigensuizid, und meinen Umgang damit, in Schriftform niederzuschreiben…
    bei Interesse einfach vorbeischauen:

    https://imzirkusdeslebens.wordpress.com/

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  3. Das hinter dieser Tat eine ganz große Not stand, ist klar. Doch eine Tat aus Liebe? Ach Gott, Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit…, Überforderung, wer weiß? Doch das Wort Liebe scheint mir in diesem Fall nicht angebracht. Es erfordert viel Liebe, auch zu sich selbst, wenn man zum wohle der Kinder weitermacht und vertraut. Ja, das sind leicht gesagte Worte. Die Mutter hat den anderen Weg gewählt. Wir wissen nicht, was sie bewegte. Ich wünsche ihr und ihren Kindern Gottes Segen. Trotzdem.

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  4. in so einer situation wird die sicht auf das leben, die welt und die probleme ganz kurz und eng. darum die ausweglosigkeit, das fehlen von alternativen. es ist wie notwehr gegen das eigene leben. darum die brutalität und die gewalt. ich war bisher immer zu feige. mich selber verletzten/ töten? und diese absolute unumkehrbare endgültigkeit…

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  5. Liebe Andrea, das hast du sehr schön geschrieben. 💜💕❤️
    Das mit ‚richtig oder falsch‘ ist so eine Sache… Ich denke, es gibt es nicht pauschal, sondern ist sehr individuell und aus grösserer Sicht betrachtet sogar nicht existent. Es sind deine Gedanken und sie fühlen sich für dich stimmig an, das ist doch wichtig. 😘
    Ich kenne suizidale Zustände, hatte auch zwei Suizidversuche in jungen Jahren. Ich wollte einfach nichts mehr sehen, hören und vor allem fühlen. Es war sooooo viel Schmerz in mir. Ich dachte, ihn nicht aus-halten zu können. Und ich hatte eine sooo unendlich starke Sehnsucht nach ‚Zuhause‘. Auch wenn ich verstandesmässig dieses ‚Zuhause‘ nicht kenne, meine innere Weisheit kennt es. Eine Existenz ausserhalb dieses Körpers, nicht auf dieser Welt mit so viel Verletzungen, Lügen, Gewalt, Verrat,… Es ist ein Ort der Liebe, des Friedens, des Lichts…
    Wünscht sich das nicht jede/r auch für seine Kinder?
    Die Verurteilungen, die Abwertungen, das ‚Nicht-gesehen-werden‘, die Nicht-Liebe, das ‚Nicht-angenommen-sein‘, Missbäuche usw. in der Kindheit kennen zu solchen Gefühle der Leere fühlen. Ja, es ist nebst Schmerz auch Leere… Irgendwann findet wie eine Abspaltung statt von all den schmerzhaften Gefühlen…
    Ich denke Wohlwollen, Verständnis und Offenheit solchen Menschen gegenüber ist ein Teil… Doch auch das allein kann den tiefen Schmerz nicht heilen… Es ist oft auch wie ein Fass ohne Boden… Was in der Kindheit gefehlt hat, ist schwierig aufzuholen oder eben noch aufzufüllen… Der Boden fehlt… Und häufig können solche Menschen ihren Schmerz und ihr gesamtes Innenleben anderen gegenüber sehr gut verdecken. Und darum ist man oft nicht selten überrascht, dass sich ein sehr unauffällig wirkender Mensch das Leben genommen hat.
    Das klingt jetzt nicht so hoffnungsvoll, ich weiss. Aber ich denke, es ist die Realität. Wir können schauen, dass wir unseren Kindern den Boden geben, damit sie sich nie so verloren fühlen, dass sie diesen Weg gehen als einzigen Ausweg sehen. Und selbst wenn wir unser Bestes geben, liegt nicht alles in unserer Hand, wie ihr Leben verläuft…
    Danke Andrea für dein Schreiben und Wirken mit deiner empathischen und tiefer schauenden Art. 🙏🏼💗

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  6. Deine Worte sind auf jeden Fall nachvollziehbar und es zeigt, dass du sehr viel Empathie hast. Ich kann es mir auch nicht vorstellen, was ein suizidaler Mensch durchmacht, aber ich denke, es ist ein wahnsinnig tiefer Schmerz, der einem fast die Kehle zuschnürrt und noch viel mehr. Der Schmerz wird irgendwann so unerträglich, dass der Tod als eine Art Erlösung. Man will diesen Schmerz einfach loswerden und da der Schlaf nicht ausreicht, weil am nächsten Morgen der gleiche Schmerz immer noch da ist, wächst der giftige Gedanke (oder Käfer) bis sogar der Überlebensdrang gänzlich verschwunden ist.

    Dieser Überlebensdrang ist das, was uns zurückhält und kämpfen lässt, „an der Oberfläche zu bleiben“ und nicht im Dunklen zu ertrinken. Bei einem suizidalen Mensch schwinden die Kräfte, je länger sie kämpfen – da kann man als Außenstehender zwar seine helfende Hand hinhalten (muss man), aber wenn es zu spät ist und der suizidale Mensch schon zu geschwächt ist, wird dieser die Hand nicht mehr annehmen können.

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