24. September 1998 Todestag meiner Mutter
23. September 2010 Geburtstag meines Kindes
Zwei Ereignisse in meinem Leben, die für mich zu den prägendsten und emotionalsten gehörten. Und gehören.
Meine Mutter ist im Krankenhaus gestorben. Es war ein Donnerstagmorgen. Nachdem sie am Vorabend noch mit letzter Kraft gesagt hat, sie wolle nicht sterben. Ich hatte am Morgen danach ein ganz komisches Gefühl, als ob ich es gespürt hätte, dass sie an diesem Tag stirbt. Ich war sehr unruhig und statt in die Fachhochschule fuhr ich gleich am Morgen ins Krankenhaus. Dort wurde ich gleich zur Seite genommen und mir wurde gesagt, dass der Zustand meiner Mutter sich verschlimmert habe über Nacht, sie sei nur noch zwischendurch ansprechbar. Es ging nun darum zu entscheiden, ob lebensverlängernde Massnahmen getroffen werden oder nicht. Mir wurde von den Ärzten davon abgeraten, da die Chance auf eine Verbesserung bei Null stand. Da stand ich nun da, allein mit dieser Entscheidung. Ich erinnere mich, dass ich sehr weinte und dass die Assistenzärztin mich in den Arm genommen und auch fast geweint hat. Ich erinnere mich, dass mich das überrascht hat und dass sie mir damit unglaublich viel Halt gegeben hat. Ich rief meinen Vater bei der Arbeit an, er müsse kommen und dann ging ich zu meiner Mutter. Sie war ein wenig ansprechbar, konnte aber selber nicht mehr sprechen. Ich fragte sie, ob es für sie in Ordnung ist, nicht ans Beatmungsgerät angeschlossen zu werden, so wie es die Ärzte empfehlen und sie nickte. GOTTSEIDANK nickte sie!!!! Ich hatte auch so trotzdem jahrelang Schuldgefühle, weil ich dachte ich sei Schuld am Tod meiner Mutter, ich hätte falsch entschieden, man hätte noch mehr versuchen müssen usw usw… Das war eine furchtbare Entscheidung, die wünsche ich wirklich niemandem.
Ja und dann ging alles sehr schnell. Ich holte noch meinen Bruder und als wir beide da waren, starb sie. Mein Vater kam kurze Zeit danach. Ich war froh, dass das so war, denn ich glaube, er hätte das nicht verkraftet.
Das war vor 19 Jahren. Ich habe das unterdessen gut verarbeitet. Ich glaube ja, dass jeder nach nahestehenden Todesfällen ein Trauma hat. Einige verkraften es besser, lenken sich besser ab oder verarbeiten es besser. Jeder macht es so, wie es für ihn am einfachsten ist, glaube ich. Und die Zeit tut ihres dazu. Sie heilt. Ich glaube tatsächlich, dass sie das tut.
Mein Verhältnis zu Krankenhäusern war gespalten. Der Unfall meines Bruders und unzählige Krankenhausbesuche, danach die Krebserkrankung meiner Mutter und der Tod… Krankenhäuser lösten bei mir Ängste und Unwohlsein aus in den folgenden Jahren. Ich war ja immer nur als Besucherin da, aber trotzdem. Hinzugehen bedeutete jedesmal eine Überwindung und ich ging nur, wenn es unbedingt notwendig war.
Zwölf Jahre später wurde ich schwanger. Der vom Gynäkologen berechnete Geburtstermin war der 21. September. Ich hoffte irgendwie, dass das Kind dann nicht am 24. September kommt. Obwohl alles lange her war, kam es mir falsch vor, am Todestag meiner Mutter mein Kind zu gebären. Ich ging schlussendlich dann am 22. abends ins Krankenhaus, die Geburt dauerte ewig. Je näher der 24. kam, desto mehr versöhnte ich mich mit dem Gedanken, dass diese beiden Ereignisse wohl dasselbe Datum belegen werden. Irgendwann fand ich daran sogar schöne Gedanken… jemand geht, jemand kommt, wie halt das Leben so ist. Vielleicht wäre dieser Tag die Verbindung zwischen der verstorbenen Grossmutter mit ihrem Enkelkind usw usw… Nach unendlich vielen Stunden Wehen, Kreislaufzusammenbruch, Wehen, Wehen, Wehen – ich verschone sie vor Einzelheiten – wollte ich einfach nur noch, dass dieses Kind endlich raus kommt, egal wann. Datum egal, alles egal. Es einfach in meinen Armen halten, gesund und munter.
20 Minuten vor Mitternacht wurde meine Tochter geboren. Ihr Geburtstag ist also der 23. September. Ich muss sagen, die Geburt war eine Grenzerfahrung für mich, obwohl ich die Schmerzen und das ganze drumherum irgendwie vergessen habe unterdessen. Aber ich erinnere mich, dass sie viel schlimmer waren, als ich es mir vorgestellt hatte und es ging so unendlich lange. Und ich muss auch sagen, es war der schönste Tag meines Lebens. Oder auf jeden Fall der wichtigste. Die kleine grosse Liebe meines Lebens wurde geboren.
Diese beiden Ereignisse fanden im selben Krankenhaus statt. Ich habe dort etwas für mich sehr schlimmes erlebt, ich musste meine Mutter gehen lassen. Ich habe ihr damals sogar gesagt, sie soll loslassen, es sei okay. Die schlimmsten Worte, die ich jemals aussprechen musste. Ich wollte nicht, dass sie stirbt. Ich wollte sowas gar nicht sagen. Ich wollte, dass sie kämpft und dass alles einfach wieder gut wird, ich war nicht bereit. Aber ich wollte auch, dass sie erlöst wird und gehen kann… Ich glaube, es war richtig so.
Und die Geburt meiner Tochter. Ein neues Leben, das das meine so sehr bereichert und nun MICH zu einer Mutter machte.
Diese 27 Stunden im Gebärsaal waren vermutlich für mich auch ein weiterer Schritt in der Verarbeitung der Vergangenheit und auch eine Versöhnung mit diesem Krankenhaus. Irgendwie hat es mir jemanden genommen, aber auch jemanden geschenkt. Die Zukunft geschenkt.