
Ich bin so ein Mensch, ich finde es total gut, sich für gewisse Dinge Zeit zu lassen. Entscheidungen oder Handlungen nicht zu überstürzen, weil man oft nicht klar denken kann, wenn man emotional zu sehr drin hängt, egal ob negativ oder positiv. Auch bei Problemen bzw. bei Situationen, die wir Probleme nennen. Ich habe es sooo oft erlebt, dass es wenig Sinn macht, gleich sofort nervös zu werden, hastig zu reagieren, Lösungen zu finden und durchzudrehen, denn ganz oft sieht nach ein paar Mal tief atmen oder am nächsten Morgen alles schon wieder ein wenig oder ganz anders aus. Gerade in meiner Arbeit habe ich es oft erlebt, dass ich schnell reagiert und mir wirklich viel Arbeit gemacht habe, um danach zu merken, dass sich das Problem im Nichts aufgelöst hat.
Natürlich gibt es Notfälle, in denen man unbedingt sofort handeln muss. In den meisten andern Fällen passiert aber nichts, jedenfalls nichts Schlimmes, wenn man sich ein wenig Zeit lässt.
Ich bin aber schon auch ein Mensch, der Dinge, die erledigt, entschieden oder gelöst werden müssen, anpackt. Dinge ewig lange vor mir her zu schieben, das ist nicht mein Ding. Es gibt ja nichts Mühsameres, als Menschen, die ihr Zeugs nicht und nie erledigen. Ich mags ja zuverlässig und verlässlich. (oder ist das dasselbe?)
Es geht ja im Leben auch immer darum, die Balance zu finden. Immer und egal, worum es geht. Auch die Balance zwischen warten und handeln, zwischen überstürzen und herauszögern, zwischen sich hinein steigern und den Kopf in den Sand stecken, um nicht hinsehen zu müssen. Und die Balance zwischen sich etwas gut zu überlegen und es zu zerdenken.
Ich finde, dass wir Menschen vieles überstürzen, uns für vieles zu wenig Zeit lassen. Es liegt an der Hektik unserer Zeit, unserer Gesellschaft, unseres Lebens. Es ist schnell und schnell-lebig. Für‘s sich Zeit lassen braucht es eine gewisse innere Ruhe und Gelassenheit, die uns das Vertrauen gibt, eben genau diese Zeit zu haben oder sie uns zuzugestehen. Oder andern. Andere haben vielleicht ihre Balance nicht an der selben Stelle wie wir. Es ist wie stillstehen,während das Karussell sich immer schneller weiter dreht.
Ich finde aber auch, dass wir Menschen dazu neigen, uns bei gewissen Dingen zuviel Zeit lassen. Manchmal sogar so viel, dass es dafür dann zu spät ist. Das sind dann Dinge, die uns eventuell noch lange beschäftigen, die sich in unseren Gedanken festsetzen und uns plagen. Schön ist das eigentlich nur für all die Therapeut*innen, die sich täglich mit Patient*innen beschäftigen, die unter anderem genau diese Themen*innen (Scherz… 😜) mitbringen.
Darum würde ich raten, wichtige Dinge zeitnah zu klären, denn es wird mit der Zeit nicht einfacher. Oft sind das ja Dinge, die uns nah gehen, die uns verletzlich machen, wie wir meinen, und Dinge, über die zu sprechen wir uns nicht soooo gewohnt sind.
Zum Beispiel fällt mir spontan ein, dass nach wie vor viele Menschen schwer erkranken oder sterben, ohne mit ihren Angehörigen darüber gesprochen zu haben, wie sie sich was in einem solchen Fall wünschen. Das war damals bei meinen Eltern nicht anders, muss ich gestehen. Ich habe mir jahrelang Vorwürfe gemacht, als ich bei meiner Mutter über lebensverlängernde Massnahmen entscheiden musste und diese schweren Herzens abgelehnt habe. Einfach weil die Ärzte es mir rieten, aber auch im Nicht-Wissen, was meine Mutter sich wünschen würde. Dasselbe bei den Beerdigungen beider Elternteile.
Es ist wichtig, eine Patientenverfügung auszufüllen.
Es gibt Situationen, in denen wiegen ungesagte Dinge sehr schwer. Eigentlich komisch, weil sie ja sozusagen inexistent sind. Aber das sind sie ja dann doch nicht, denn sie existieren als Gedanken. Und Gedanken sind das, was unser Gehirn und unser Herz manchmal ganz schön ausfüllen und schwer macht. Uns und / oder andern.
Entschuldigungen, Klärungen, Planungen… Oder jemandem sagen, was er uns bedeutet, was wir fühlen, was wir uns wünschen. Ich glaube, wenn es für solche Dinge zu spät ist, weil jemand weg ist – und in ganz vielen Fällen bedeutet das wohl gestorben – ist es manchmal wirklich ganz schwierig. Wir machen uns unter Umständen Vorwürfe, viel zuviele Gedanken und es belastet uns. Es ist schwierig, es ohne das Gegenüber zu klären, es loszulassen. Wie etwas Abgebrochenes, nicht zu Ende Gebrachtes. So wie ein amputiertes Bein (und ich möchte bei dieser Gelegenheit jemanden grüssen, der mich IMMER liest, es ist bestimmt sehr unangebracht, aber du musst bestimmt lachen jetzt), dessen Wunde für immer offen bleibt.
Also, sagt euch doch bitte gegenseitig eure lieben Gedanken und Worte, so lange der andere sie noch hören, kann. Ich versuche es auch.
Gefühle sind nie peinlich oder unangenehm.
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