Von Entfremdung in Zusammenhang mit einer Scheidung oder Trennung spricht man, wenn ein Elternteil die Situation und das Kind / die Kinder manipuliert, um sie sehr eng an sich zu binden, mit dem Hauptziel, den andern Elternteil aus dem Leben der Kinder zu entfernen.
Entfremdung ist psychische Gewalt im höchsten Masse. Die Entfremdung selbst und auch der Weg dazu, also die Mittel die angewendet werden, verursachen beim Kind sehr grosse Schäden. Ich gehe später noch darauf ein.

Letzte Woche lief im Fernsehen der Film „Weil du mir gehörst“ (Mittwoch, 12.2.2020, ARD), genau zu diesem Thema. Mich und wohl die Mehrheit aller Zuschauerinnen hat der Film sehr berührt.
Mich hat der Film nicht nur berührt, sondern erschüttert.
Um nun sehr ehrlich zu sein, konnte ich ganz am Anfang die Gefühle dieser Mutter nachvollziehen… Wie sie sich vermutlich fühlt, betrogen und verlassen geworden zu sein von ihrem Mann. Bei mir war das anders, aber das sind auch ohne Betrug schlimme Gefühle. Gefühle, die einen sehr, sehr runterziehen. So weit runter, dass man denkt, es gehe gar nicht noch weiter runter… Und dann die Situation, dass das Kind regelmässig ein paar Tage mit seinem Vater verbringt. Aber nein, nicht nur mit dem Vater, sondern mit dem Vater UND der neuen Frau an seiner Seite und womöglich hat sie auch Kinder. Also verbringt das Kind ein Wochenende in der neuen Familie des Ex-Mannes, so fühlt es sich zumindest irgendwie an.
Während ich ganz allein war.
Die Frau im Film hielt dies kaum aus. Sie hat dem Kind ein Handy geschenkt und hat während es bei seinem Vater war, dauernd darauf angerufen, wollte alles wissen, machte sich Sorgen und fühlte sich offensichtlich sehr allein gelassen. Sie musste das Kind dem Mann anvertrauen, der sie so schlimm enttäuscht hat, zu dem sie kein Vertrauen mehr hat.
Ich kann das nachvollziehen zu einem gewissen Grad. Ich bin damit aber total anders umgegangen, obwohl auch ich sehr gelitten habe am Anfang. Ich machte das so, wie ich es für richtig gehalten habe. Immer im Fokus aufs Kind und halt trotz allem noch mit dem Bewusstsein, dass der Vater sein Kind auch braucht und das Kind auch ihn. Das ist eine Liebe, die ist wichtig für jetzt und für das ganze Leben. Ebenso wichtig wie das, was das Kind und mich verbindet.
Eine Trennung ist ein Verlust auf verschiedenen Ebenen, nicht nur der Verlust des Ehemannes. Man verliert viel Existenzielles und auch den Boden unter den Füssen. Das kann Ängste auslösen, z.B. und das ist sehr nachvollziehbar, lasst euch nichts anderes einreden, Verlustängste. Die gehen dann mit der Zeit wieder weg, aber am Anfang können die stark sein. Trauer, Angst, Verzweiflung sind ein guter Nährboden für sowas. Ich hatte in dieser Zeit z.B. sehr grosse Angst, dass mir mein Kind nun auch noch weggenommen wird, so wie mein Mann (er wurde mir nicht weggenommen, aber Gefühle in einer Krise sind wohl nicht besonders rational). Ich erinnere mich sehr gut an die ersten paar Wochenenden, die das Kind beim Ex-Mann verbrachte, manchmal natürlich dann auch mit seiner Freundin und deren Kindern.
Das ist ein Loslassen irgendwie, das ist klar. Loslassen für Fortgeschrittene. Und doch war mir immer klar und auch wichtig, dass der Papa für das Kind auch wichtig ist. Ich habe mich auch oft gefragt, wie er es aushält, sein Kind nicht mehr jeden Tag zu sehen, nicht mehr zu wissen, was immer so los ist, wie es ihm geht usw. Und ich fand auch diesen Gedanken schlimm und war einfach nur dankbar, dass das Kind bei mir wohnt.
Ich wäre nie im Leben auf den Gedanken gekommen, dass er kein Recht hat, das Kind zu sehen. Dass sie MIR gehört. Nein, wirklich nicht. Ich habe es gut geschafft, meine eigenen Gefühle, die ich ihm gegenüber hatte und alles andere zu trennen. Er gehört genauso zum Kind, wie ich. Genauso wichtig. Unsere Abmachungen klappen gut. Wenn er das Kind mehr als geplant sehen oder etwas abtauschen möchte, sage ich nie nein. Es ist mir ein Anliegen, dass das reibungslos klappt.
Die Frau im Film hat nicht gelernt, damit umzugehen. Sie hat angefangen zu manipulieren und zu lügen, um dem Kind das Vertrauen zum Vater zu nehmen. „Ich weiss nicht, warum der Papa dich nicht abholt, ihm ist wohl etwas dazwischen gekommen, seine Freundin vielleicht. Und seine Arbeit war ihm schon immer wichtiger“ usw. (obwohl er versucht hat, telefonisch seine Verspätung mitzuteilen, der Anruf aber ignoriert wurde). Das Kind wurde immer wieder enttäuscht vom Papa, wie es fälschlicherweise dachte.
Die Mutter ist dann mit dem Kind umgezogen, hat ihm nicht gesagt, wohin. Der Tochter hat sie ein neues Handy geschenkt inkl. neuer Handy-Nummer. Sie hat ihr erzählt, dass sie dem Papa die Nummer und auch die neue Adresse sofort gegeben hat und das Kind war im Glauben, dass die Handy-Nummer vom Vater eingespeichert war und rief immer und immer wieder an. Aber es war eine andere Nummer. Der Vater hat die Anrufe nie erhalten. Und er konnte sein Kind weder anrufen, noch erreichen, denn er wusste nicht wo es ist. Das Kind muss gedacht haben, dass der Papa es nicht mehr liebt…
Als der Vater mit Hilfe einer Anwältin den neuen Wohnort heraus gefunden hatte, fuhr seine Ex-Frau noch schwereres Geschütz auf. So dass der Vater sein Kind nicht mehr sehen durfte. Grundlos. Für eine sehr lange Zeit. Und als er es dann irgendwann wieder besuchen durfte, mit Begleitung einer Sozialarbeiterin, war das Kind dem Vater so entfremdet, dass es total verstört war und weinte. Der Besuch wurde sofort abgebrochen, ohne dass er eine Chance gehabt hätte.
Ich gehe jetzt hier nicht noch mehr ins Detail. Schaut euch den Film an, falls ihr interessiert seid.
Ich glaube, viele Menschen waren von der Handlung des Filmes sehr berührt. Geschockt und auch wütend. Ich kann mir fast nicht vorstellen, dass es jemandem anders ging.
Und solche Situationen gibt es tatsächlich in der Realität. Solche Dinge passieren. Dürfte es nicht, aber tut es trotzdem. So wie keine Morde passieren dürften, keine Attentate und keine andere schlimmen Dinge, die Menschen tun. Das sind dann wohl die Abgründe des Menschen. Der Psyche.
Das Kind muss geschützt werden in einer solchen Situation, ich denke da sind wir uns einig. Bis es soweit kommt, passiert leider sehr viel, weil misshandelndes Verhalten meistens sehr schwer nachzuweisen ist. Wem soll das Gericht glauben, wenn eine weinende Mutter da sitzt und erzählt, dass das Kind mit blauen Flecken und verängstigt vom Vater zurück kommt oder dem Vater, der wütend beteuert, dass das nicht stimmt? Wem soll das Gericht glauben, wenn der Vater dem Gericht erzählt, dass die Mutter lügt und die Mutter sagt, dass der Vater lügt? Beides ist möglich. Beides passiert. Wie ist es nun in diesem konkreten Fall?
Schwierig… es braucht wohl viel Zeit und die entsprechenden Fachpersonen, die mit allen Beteiligten Gespräche führen, um die Wahrheit heraus zu finden. Denn nicht jede Frau, die von Missständen beim Vater spricht, lügt. Und nicht jeder Vater ist ehrlich. Oder umgekehrt.
Das ist das eine….
Das andere ist, dass es meiner Meinung nach ganz bestimmt Gründe für dieses schreckliche Verhalten gibt.
Es gibt Gründe, warum ein Elternteil sich so verhält (gilt auch für Fehlverhalten jeglicher anderer Art). Gründe zu suchen, entschuldigt kein Verhalten. Niemals. Ich will mit diesen Gedanken nun nichts beschönigen.
Ich habe aber auch schlimme Kommentare aufgrund dieses Fernsehfilms gelesen, die mich erschreckt haben. Diese Mutter, die als Rabenmutter beschimpft wurde. Man soll ihr die Tochter wegnehmen, am besten für immer. Eine solche Mutter ist nichts anderes als ein schlechter Mensch.
Aber ist es wirklich so einfach? Ist das nicht einfach Schwarz-Weiss-Denken?
Für wen wäre das denn gut? Für das Kind bestimmt nicht. Auch für die Mutter nicht.
Ich würde behaupten, dass Menschen, die zu so etwas fähig sind wie diese Mutter, die sind ganz bestimmt nicht psychisch gesund. Da stimmt etwas ganz und gar nicht mehr und sie haben das nicht im Griff. Sie wissen nicht mehr, was richtig und was falsch ist. Das ist nicht mehr einfach nur die Trennungskrise, das ist viel mehr. Ich glaube auch, dass die Wahrnehmung ganz anders ist als bei einem gesunden Menschen.
Eine solche Person braucht Hilfe. Psychiatrische, therapeutische Behandlung.
Menschen, die sie als Rabenmutter beschimpfen, sie ausgrenzen und hassen, helfen ihr nicht. Sie braucht professionelle Hilfe, um sich adäquat um ihr Kind zu kümmern und auch angemessen mit dem Vater des Kindes umgehen zu können.
Wie ihr unterdessen bereits wisst, wenn ihr einige meiner Texte gelesen habt, ich spreche mich immer wieder gegen Ver- und Beurteilung aus. Es liegt wohl in meiner Natur oder auch in meiner Berufserfahrung, dass ich immer verschiedene Seiten einer Sache betrachte. Ich würde nicht behaupten, dass es mir immer gelingt, wertfrei zu sein, aber doch schon ziemlich oft.
Ich möchte auch betonen, dass in diesem Film die Person, die das Kind dem andern Elternteil entfremdet hat, zwar eine Frau war, dass das aber nur ein Beispiel war. Das kann ebenso gut ein Vater sein. Es ist ja immer noch so, dass das Kind wohl meistens nach der Trennung den Wohnsitz bei der Mutter hat. Und die meisten Mütter machen das gut! Sie stellen ihre Gefühle diesem Mann gegenüber in den Hintergrund und unterstützen die Beziehung von Kind und Vater. Das ist der Normalfall. Situationen wie im Film gezeigt, kommen vor. Leider. Aber das sind Einzelfälle. Tragische Einzelfälle.
Ich möchte nicht, dass verallgemeinert wird.
Und das Kind…
Vom Kind habe ich noch nicht so viel geschrieben, obwohl es die Hauptperson und die Hauptleidende in diesem ganzen schrecklichen Szenarium ist.
Ein Kind, das so etwas erleben muss, verliert zum einen Elternteil total das Vertrauen, weil es versetzt wird, immer und immer wieder. Weil es denkt, es sei ihm nicht wichtig, es werde nicht geliebt. Es wird enttäuscht. Zutiefst. Es sieht diesen Elternteil vermutlich für eine lange Zeit nicht. Und dann verliert es zum andern Elternteil auch noch das Vertrauen, wenn es erfährt, was passiert ist…
Das ist nur ein Aspekt, das Vertrauen. Da läuft noch viel mehr ab…
Ich könnte mir vorstellen, dass dieses Kind sein ganzes Leben lang eine schwierige Beziehung hat zum Elternteil, das entfremdet hat, hat. Und ein gestörtes Verhältnis zum Vertrauen, begreiflicherweise.
Ich möchte gerne in einem weiteren Text nächstens auf einer anderen Ebene über die Entfremdung schreiben. Ich werde mich bevor ich schreibe ins Thema hineinlesen. Ich möchte wissen, warum so etwas passiert. Und wie vorgegangen wird mit dem „schuldigen“ Elternteil, wenn alles aufgedeckt worden ist. Aber auch besonders, was das alles mit einem Kind macht.
Folgt.
Etwas, was ich zum Schluss noch anhängen möchte, ist folgendes:
Immer wieder lese ich, dass es nur um das Wohl des Kindes geht. Alles. Ich möchte mich dieser Meinung nicht entgegenstellen, nein. Ich bin voll und ganz damit einverstanden. Es geht um das Wohl des Kindes.
Ich glaube aber auch, dass es auch um das Wohl der Eltern geht. Um MEIN Wohl. Dafür ist jeder selbst zuständig. Natürlich nehme ich mich soooo oft zurück, eigentlich fast immer. Und doch muss auch ich zu mir schauen, um gut für mein Kind da sein zu können. Es ist wichtig, sich seine Kräfte und nicht zuletzt seine psychische Gesundheit zu bewahren. Das ist nicht egoistisch. Vergesst das nicht und passt gut auf euch auf. Denn euer Kind braucht euch. Mama und Papa, wenn’s geht.
Kommentar verfassen