Vom schönen Narziss und von Diagnosen…


Mir fällt in der letzten Zeit immer wieder auf, wie schnell gewisse Diagnosen gestellt werden. Ich spreche da nicht von Ärzten und Psychiatern, die das natürlich gerne tun müssen und auch sollen. Nein, ich spreche von Nicht-Fachpersonen und ich möchte von der Diagnose „Narzissmus“ sprechen.

Narzissmus scheint mir DIE momentane Mode-Diagnose zu sein. Die Ex-Partnerinnen und Partner von 80% der Weltbevölkerung scheinen zB Narzissten zu sein, wenn man denn wiederum deren Ex-Partnerinnen und Partner glauben möchte.

Ich möchte nicht. Aus diesem Grund befasse ich mich nun mal etwas genauer damit.

 

Narzissmus – Was ist das überhaupt?

Die Geschichte von Narziss
Narziss war in der griechischen Mythologie der Sohn des Flussgottes Kephissos und der Wassernymphe Leiriope. Narziss war schön und wurde von Frauen und Männern gleichermassen umworben. Er jedoch wies sie alle zurück, denn er war eingebildet und stolz, verhielt sich herzlos und hart. Artemis (oder Nemesis) bestrafte ihn aus diesem Grund mit ewiger Selbstliebe, Narziss war also nie dazu fähig, jemand anderen als sich selbst zu lieben. Und so geschah es, dass er sein eigenes Spiegelbild im Wasser einer Quelle sah und sich unsterblich verliebte. Ohne zu wissen, dass er sich selbst im Wasser gesehen hatte.

Von Narziss‘ Tod gibt es verschiedene Erzählungen, sie sind alle tragisch. Eine davon lautet folgendermassen: Narziss litt sein Leben lang an dieser unerfüllten Liebe und verschmähte jede/n anderen, der sich ihm nähern wollte. Eines Tages sass er wie so oft an einem Gewässer und schaute sich selbst im klaren Wasser an. Er wurde dabei von seiner Sehnsucht übermannt und versuchte nach seinem Spiegelbild zu greifen und ertrank.
Nach seinem Tod wurde an dieser Stelle eine blühende Narzisse gefunden.

 

 

Und was verstehen WIR nun unter Narzissmus?
Narzissmus ist laut ICD-10 kein Krankheitsbild, sondern gehört zu den Persönlichkeitsstörungen. Es wird auch zwischen narzisstischer Persönlichkeit (was eher Charakterzüge wie z.B. starker Egoismus, Ich-Bezogenheit beinhaltet) und einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung unterschieden. Eine solche tritt meistens in Begleitung anderer psychischen Erkrankungen auf und wird dann meistens auch deswegen (also in einer Therapie) entdeckt.

Ich habe gelesen, dass etwa 1% der Weltbevölkerung eine narzisstische Persönlichkeitsstörung hat. Nur 1 Prozent. Das bedeutet also, dass nicht alle, denen das von irgendwem nachgesagt wird, dies auch tatsächlich haben. Ich würde gerne sagen „darunter leiden“, aber meist leidet wohl eher das Umfeld als die betreffende Person.
Narzisstische Personen machen auf uns einen eigebildeten, arroganten Eindruck. Dahinter versteckt sich Unsicherheit und ein kleiner Selbstwert, der durch die Beziehung zu einer oder mehreren andern Personen und den manipulierenden Umgang mit ihnen genährt und gehoben wird. Narzisstische Menschen sind Menschenkenner. Sie wissen ganz genau, wie sie jemanden nehmen müssen, wie sie jemanden für ihre eigenen Zwecke benutzen können.
Im Zentrum der Gefühls- und Gedankenwelt einer narzisstischen Person ist sie selbst. Sich in andere hinein zu versetzen oder hinein zu fühlen bereitet ihr grosse Mühe. Sie lebt von der Aufmerksamkeit und der Anerkennung anderer. Mit Kritik und Misserfolgen können narzisstische Menschen sehr schlecht umgehen.

Man unterscheidet zwischen drei Arten von Narzissmus:
– grandios-maligne Narzissmus
– vulnerabel-fragile Narzissmus
– exhibitionistischer Narzissmus mit hohem Funktionsniveau

Der sogenannte grandios-maligne Narzissmus wird auch der „bösartige Typus“ genannt. Menschen mit dieser Art von Narzissmus können unter Umständen für ihr Umfeld oder gar für die Gesellschaft gefährlich werden. Die Kombination von Narzissmus, Aggression, Paranoia und antisozialem Verhalten kann diese Personen zu schrecklichen Taten zwingen. Sie sind von ihrer Grossartigkeit überzeugt und wenn diese nicht genügend anerkannt und verehrt wird, rächen sie sich gnadenlos. Ihre paranoide Wahrnehmung lässt sie Ablehnung sehen, wo eventuell keine ist. Sie sehen ihre sehr Mitmenschen sehr schnell als Feinde, die zu bekämpfen sind. Adolf Hitler wird z.B. nachgesagt, dass er ein maligner Narzisst war.

Der vulnerable-fragile Narzissmus wird auch verdeckter Narzissmus genannt. Wenn man das Bild vom über-selbstbewussten, arroganten Narzissten im Kopf hat, wirkt der vulnerable-fragile untypisch. Er ist geprägt durch eine depressive Stimmung, Scham und Ängstlichkeit. Er ist sensibel für Kritik und Misserfolge. Aufgrund der depressiven Stimmung und anderen psychischen Symptomen nimmt dieser Typ häufiger therapeutische Hilfe in Anspruch als die andern.

Der exhibitionistische Narzisst zeigt seine Grossartigkeit gerne allen und öffentlich. Er benötigt eine grosse Aufmerksamkeit, Zustimmung und Applaus und bekommt sie auf diese Art und Weise. Dieser Typ von Narzissmus wird auch offener Narzissmus genannt. Dieser Mensch kommt in unserer Gesellschaft gut zurecht, kann sich anpassen und auch erfolgreich sein. Er tritt selbstbewusst und sicher auf und verhält sich andern gegenüber kühl und überlegen.

Ich könnte noch viel schreiben, denn ich finde dieses Thema durchaus sehr interessant. Für mich gibt es kaum etwas, was interessanter und auch komplexer ist als die Psyche des Menschen. Gerade zum Thema Narzissmus gibt es zahlreiche Bücher, wer sich interessiert kann sich da ja noch selbst informieren. Ich habe nicht den Anspruch, hier eine vollständige Erklärung mit Diagnose, Symptomen und Behandlungsmethoden abzugeben, sondern nur ein klitzekleiner Einblick.

Was mir im Zusammenhang mit Narzissmus vor allem wichtig ist, ist abschliessend zu sagen, dass nicht jeder Ex, der sich wie ein Arschloch verhält, ein Narzisst ist. Ich glaube, gerade als Ex-Partner sieht man seine ehemalige andere Hälfte nun mit anderen Augen. Man ist traurig, wütend und enttäuscht über die Trennung, über Verhaltensweisen usw. Die Kommunikation vor und nach einer Trennung kann sehr anspruchsvoll, schwierig oder sogar fast unmöglich sein. Man hat sich schliesslich aus einem Grund getrennt, danach geht nicht alles plötzlich einfacher. Wenn möglich geht man vermutlich getrennte Wege, macht einen Schnitt. Wenn aber Kinder da sind, geht das nicht. Man bleibt Eltern und muss weiterhin irgendwie zusammen in dieser Rolle funktionieren und das ist sehr, sehr wichtig, wenn auch wirklich manchmal schwierig.
Mir geht’s da nicht anders, ich verstehe das auch gut. Aber dennoch finde ich, muss man lernen, da ein wenig drüber zu stehen. Die verletzten Gefühle auch mal zur Seite schieben und über den eigenen Schatten springen. Dem Kind zuliebe und vielleicht schlussendlich auch dem eigenen Seelenwohl zuliebe.

Auch das ist schwierig und wohl sehr oft einseitig. Und dennoch möchte ich euch bitten, nicht zu erzählen, dass euer Ex ein Narzisst ist. Ausser ihr wisst mit ganz bestimmter Sicherheit, dass er das ist. Aber auch dann…  was bringt es denn, das herum zu erzählen? Macht es irgendetwas einfacher für euch? Bringt es irgend jemandem etwas?
Und wenn man einfach das Gefühl hat, der Ex sei ein Narzisst, weil er einem so egoistisch und so Arschloch-mässig vorkommt und das herum erzählt… Bringt das jemandem etwas? Ich glaube gelesen zu haben, dass dies unter Verleumdnung geht und somit strafbar ist. Zum andern kann man einer Person sehr schaden damit, wenn man Unwahrheiten oder halt auch Wahrheiten, die nicht die halbe Welt wissen muss, herum erzählt. Ein solches Verhalten zeigt meiner Meinung nach auch sehr viel über den Charakter des Erzählers…

Wie oben erwähnt, leidet etwa 1 Prozent der Weltbevölkerung an Narzissmus. Und nicht jeder, der sich wie ein Arsch benimmt, ist ein Narzisst.

 

Eine Antwort zu „Vom schönen Narziss und von Diagnosen…”.

  1. danke, denn ich stelle immer häufiger fest, dass immer mehr „Nicht-Fachpersonen“ meinen, Diagnosen stellen zu können, als ob sie sich damit aufwerten könnten

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