Selbstverwirklichung – um jeden Preis?


Achtsamkeit, das grosse Thema.
Sorge tragen zu sich selbst, unglaublich wichtig.
Seinen eigenen Weg gehen, glücklich sein.
Sich verwirklichen.

Ich bin mit all dem sehr einverstanden, da gibt’s nichts dran auszusetzen. Wie und wieviel davon man umsetzen kann, liegt wohl bei jedem einzelnen, denn einfach ist das nicht immer. Der Alltag ist voller Pflichten, wir werden vom Strom der Zeit mitgetragen, ob wir wollen oder nicht.

Man hört immer wieder von Menschen, die ihr ganzes Leben über den Haufen werfen, um neue Wege einzuschlagen. Bemerkenswert irgendwie, oder? Und ehrlich gesagt, ich frage mich, ob das okay ist. Natürlich soll jeder glücklich und zufrieden sein, denn wir alle haben nur ein Leben. Ganz klar. Aber wir alle leben in Systemen. Andere Menschen sind an unsichtbaren Fäden mit uns verbunden, einige näher, andere weiter entfernt. Ehepartner oder einfach Partner, Kinder – Familie – sind mit uns wohl am stärksten verbunden. Wenn ein Mitglied dieses Systems wackelt, wackeln die andern auch, das geht gar nicht anders.

Wenn ein Mitglied sich aus diesem Faden-Gewirr befreit und weg geht, am Rotieren ist oder nicht mehr zurecht kommt, entsteht ein Ungleichgewicht. Das System hängt schief, droht abzustürzen und wackelt wie verrückt. Der verbleibende Erwachsene versucht, die Balance zu halten, allein. Versucht auszugleichen, dass es unten bei den Kindern wenigstens nicht so stark wackelt. Aber auch die schleudert es hin und her. Jedenfalls im Moment.

Es muss nicht zwangsläufig einer der Erwachsenen sein, der alles aus dem Gleichgewicht bringt. Das kann auch ein Kind oder eine andere Person. Vielleicht eine Grossmutter, die wichtig ist oder eine Freundin. Uns verbinden ja nicht nur Familienbande, es gibt noch andere. Das kann eine schwer kranke Person sein oder sogar eine tote. Es kann eine Person sein, die eine Krise hat oder in Schwierigkeiten ist, da gibt es viele verschiedene Möglichkeiten.
Da gibt’s Szenarien, die vom Schicksal oder Zufall oder halt einfach vom Leben so gewollt sind und auf uns zukommen, ohne dass wir etwas dagegen tun können. Und wenn ich jetzt auf mein Thema zurück komme, gibt’s auch Szenarien, wo ein Teil dieses Systems sich abhängt, um vermehrt oder ganz eigene Wege zu gehen. Ich muss da ja keine Beispiele nennen, ich glaube wir alle kennen solche.

Und dann frage ich mich. Darf der das einfach so? Darf der einfach so seinen Weg gehen, was dann aber nicht nur für ihn, sondern auch für z.B. seine Familie schwerwiegende Folgen hat? Darf man dermassen egoistisch sein?
Ich finde zum einen, nein das darf man nicht. Wenn wir uns vor Jahren z.B. dazu entschieden haben zu heiraten, zusammen Kinder zu haben, eine Familie zu sein und einander das auch versprochen hat, dann darf man das nicht einfach weg- oder hinwerfen, wenn man eine Krise und andere Ideen hat. Denn diese Entscheidung beinhaltet auch eine Verpflichtung und Verantwortung, vielleicht sogar die grösste Verantwortung die es gibt. Familie. Bzw es bedeutet den Bruch dieses Versprechens. Ich finde, da geht man nicht einfach seinen Weg.

Ich finde aber auch nicht, dass man seinen Weg NICHT gehen soll. Ich denke halt einfach, dass man es sich richtig gut überlegen soll. Leichtsinnigkeit ist da fehl am Platz.
Wenn eine Richtungsänderung nur mich selbst betrifft und dabei niemand anderen unglücklich macht oder in eine schwierige Situation bringt, ist ja alles klar. Los! Da ist es schlussendlich auch egal, ob man es sich gut überlegt, ob es klappt oder ob man auf die Fresse fällt. Die Konsequenzen trägt man allein. Total okay, finde ich.
Ich finde aber, wenn jemand anders involviert ist und zwar ohne Mitsprache- oder Mitbestimmungsrecht, dann überlegt man es sich 100x und versucht auch noch alles Menschenmögliche, ob da nicht noch etwas zu retten ist. Und wenn nicht, dann soll man diesen Weg gehen. Auf jeden Fall. Denn wie gesagt, jeder hat das Recht, glücklich zu sein. Ich finde nicht, dass jemand bei jemandem bleiben soll, obwohl er das nicht mehr möchte. Das hat sowieso niemand verdient, dass man mit ihm zusammen bleibt, obwohl z.B. die Liebe schon lange weg ist. Sehr verletzend und unwürdig. Das ist für mich ein absolutes No Go. Oder dass jemand auf etwas verzichten soll, das für ihn wahnsinnig wichtig ist und sein Leben lebenswerter macht. Natürlich nicht.

Manchmal ergeben sich aus solchen Entscheidungen aber traurige und manchmal auch schlimme Situationen. Vermutlich nicht für den, der entscheidet. Sondern für die, über die indirekt mitentschieden wird. Das vergisst man dann ja gerne…

Und dann finde ich, dass es darauf an kommt, WIE man diesen Schritt macht. WIE man seine Partnerin, seinen Partner oder die Kinder oder wen auch immer miteinbezieht, wie man mit ihnen umgeht. Wie man weg geht. Auch da gibt es verschiedene Wege. Man kann auch rücksichts- und verantwortungsvoll so etwas durchziehen. Daran glaube ich sehr. Das ist dann wohl immer noch schlimm. Und so ist das vermutlich dann konfrontierender und direkter, was aber auch mehr Mut und Energie braucht. Vielleicht auch mehr Zeit. Ich finde aber, das ist es wert. Für uns und für die anderen.

Ich glaube, wir werden glücklicher, wenn wir Menschen anständig behandeln, auch wenn wir sie verlassen müssen.

 

8 Antworten zu „Selbstverwirklichung – um jeden Preis?”.

  1. Das freut mich. 🙂

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  2. Ich habe mich auch noch einmal entschieden etwas anderes zu machen. Meine Familie war vollkommen dagegen. Aber ich war so kreuzunglücklich in meinem Beruf. Und dadurch war ich allgemein sehr unzufrieden. Das war meiner Familie, zwar nicht ganz egal, aber doch eben eher Nebensache. Ich habe mich dann entschieden einfach zu machen was ich will. Für mich war das auch ein großer Sprung. Und heute bin ich der glücklichste Mensch dadurch. Auch meine Familie ist damit sehr glücklich. Und heute behaupten sie auch sie wären sehr stolz auf mich und hätten mich ja immer dazu animiert das zu machen. (Schon klar!)

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  3. Du schreibst über Respektlosigkeit, Verantwortungslosigkeit, Egoismus oder kranke Menschen – nichts davon hat mit Selbstverwirklichung zu tun…

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  4. Ja, auch seiner Verantwortung für sich selber.

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  5. Das stimmt. Aber man muss sich auch seiner Versntwortung bewusst sein.

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  6. Alles klar, ich finde das hast du gut beleuchtet. Man muss nur immer aufpassen, dass man diese Sorgen um andere nicht als Ausrede nimmt, sich nicht selbst zu verwirklichen. Da gilt es immer abzuwägen.

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  7. Ja, das stimmt, es geht nicht nur ums Verlassen. Es geht auch um andere Dinge… kann zB ein Ehemann und Vater ein Jahr um die Welt reisen? Job kündigen und damit Sicherheit aufgeben? Wegziehen wollen, auswandern? Suizid? Exit? Fremdgehen? Es gibt viele Szenarien. Es ging mir einfach ums Thema. Ich kann nicht immer alle Eventualitäten und Aspekte miteinbeziehen.

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  8. Bei dir geht es vor allem ums Verlassen. Ich habe aber auch mal eine sehr schwerwiegende Entscheidung getroffen, die mich sehr unsicher machte. Darf ich das? Wir lebten damals in Bonn, aber ich wollte für eine neue Arbeit nach Dresden ziehen. Das bedeutete: soziales Umfeld weg, Kindergärten weg, Arbeit weg, Familie meines Mannes weiter weg (meine näher). Am Ende hat mein Mann aber mitgezogen (Happy wife, happy life?) und es war für uns trotz der vielen Unbekannten einfach die beste Entscheidung überhaupt. Ich weiß, dass meine Entscheidung egoistisch war, aber es ist eben auch mein Leben… Ich hatte aber Glück: Obwohl es ursprünglich nur mein Wunsch war, profitierten wir alle davon und es ging gut aus.

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