
Ich bin Sozialpädagogin. Es ist mein Beruf, mit Menschen zu arbeiten und zwar mit Menschen, die in gewissen Bereichen Unterstützung benötigen, um in der von uns definierten und organisierten Gesellschaft besser zurecht zu kommen. Und genau dafür bin ich von meiner Arbeitsgeberin angestellt worden.
Die Sozialpädagogik / Betreuung ist wohl ein Beruf, über den man nicht so oft oder so ausführlich spricht. Zum einen, weil wir mit Menschen arbeiten, die trotz einiger Integrations- oder gar Inklusionsbemühungen verschiedener Seiten nach wie vor eher am Rand unserer Gesellschaft stehen. Sie werden oft nicht gesehen, wollen nicht gesehen werden – was beidseitig funktioniert – sie wollen ganz oft nicht so gern im Mittelpunkt stehen, bewegen sich gern in ihrer gewohnten Umgebung. Und die andern wollen sie oft nicht sehen. Übersehen kann man sie aber nicht immer bzw nicht alle, denn manchmal fallen sie auch ganz schön auf. Sie sehen manchmal anders aus, sie sprechen vielleicht anders oder bewegen sich anders fort. Und nicht selten verhalten sich auch anders als andere, die wir „normal“ nennen.
Zum andern unterstehen wir natürlich einer Schweigepflicht. Wir schützen damit unser Klientel.
In den vielen Jahren, in denen ich nun in diesem Beruf tätig bin, habe ich in verschiedenen Institutionen und mit ganz unterschiedlichem Klientel gearbeitet. Ich habe dementsprechend ganz viele verschiedene Menschen mit all ihren Geschichten, Schicksalen, Ressourcen und Schwierigkeiten kennen gelernt.
Und das nicht nur in meinem Beruf, sondern natürlich auch in meinem Privatleben, so wie wir alle es tun.
Ich finde, dass neben unseren ganz eigenen Erfahrungen und unserem Umgang mit unseren persönlichen Schicksalsschlägen, Erlebnissen, Höhen- und Tiefflügen Menschen uns am meisten prägen. Menschen, wie sie mit uns umgehen, wie sie uns begegnen und was sie uns von sich erzählen, wie sie uns an ihrem Leben teilhaben lassen.
Ich würde sagen, dass vor allem all dies mich genau an den Punkt gebracht hat, an dem ich jetzt stehe. Die Momente, in denen andere mich tiefer in ihr Leben blicken liessen, mit all den damit verbundenen Gefühlen und vielleicht vor allem auch mit den Abgründen, die das Leben manchmal beinhaltet. Dabei denke ich vor allem auch an Gespräche mit Freunden oder Bekannten, die gerade Schicksalsschläge erleben mussten, die ich oft als sehr tief und bereichernd erlebe.
Ich finde, in solchen Momenten geht es irgendwie um das Essentielle im Leben. In diesen Momenten ist man ganz tief verbunden, so fühle ich es zumindest.
Aber nicht nur diese Situationen haben mich geprägt, sondern auch ganz besonders die, in denen ich andere teilhaben liess bzw wenn sich jemand für mich und mein Leben interessiert(e). An meinem Alltag allgemein, das müssen gar nicht mal spezielle Themen sein.
Besonders in meiner Trauer und meinen Ängsten zB nach den Todesfällen meiner Eltern habe ich das aber stark erlebt. Ich kann mich auch nach Jahren noch sehr genau an einzelne Begegnungen, Reaktionen und Gespräche erinnern. Eigentlich sehr positiv. Diese Erinnerungen laufen nun immer parallel zu den traurigen ab und neutralisieren diese irgendwie. Gerade diese zwei Ereignisse und was sie mit sich zogen, waren sehr einschneidend für mich. Wirklich nichts Schönes. Und doch ist das, was davon bis jetzt geblieben ist, durchwegs positiv und zwar genau wegen solchen Begegnungen, die einen durch schwere Zeiten tragen.
Ich bin mir einfach sehr bewusst, dass all diese Erfahrungen, gute und weniger gute, Teil des Lebens sind. Sie liessen mich entwickeln und reifen und manchmal habe ich das Gefühl, auch ein bisschen altern. Auch das gehört dazu.
Ich habe immer wieder die Erfahrung gemacht – und ich habe oft darüber geschrieben – wie wichtig es ist, sich mitzuteilen und sich für andere zu interessieren. Über Dinge zu sprechen, über die es schwierig ist zu sprechen. Denn nur so erfährt man, wem man gegenüber steht und nur so kann man verstehen oder es versuchen. Und nur so hat man die Chance, gehört und verstanden zu werden. Vor allem finde ich das Einander-Erzählen so wichtig, um einander zu zeigen, dass niemand allein ist mit einer Situation oder mit einer Schwierigkeit. All das gehört zum Leben und man muss sich nicht schämen. Man muss nicht so tun als ob nichts wäre. Nicht so tun, als wäre alles immer Friede, Freude, Eierkuchen, denn so ist das Leben oft nicht. Sich nicht allein fühlen mit etwas, was einen erdrückt und belastet, denn das ist ganz gefährlich.
Ich bin immer der Meinung, man soll sich auf das Gute fokussieren, seien es gute Menschen, gute Situationen oder unsere guten Fähigkeiten und Stärken – Ressourcen. Und doch finde ich, man darf auch den Rest sehen. Den Kopf in den Sand zu stecken oder wegzuschauen hat auch noch nie jemanden weiter gebracht.
Ich finde, es ist nicht einfach, über Dinge zu sprechen, die man als schwierig oder schwer empfindet. Man empfindet es als Schwäche, als Makel, als wunden Punkt, auf dem andere womöglich herumstochern könnten. Es ist nicht einfach, in einer Welt, die vorgibt, makellos, reich und schön zu sein, zu seinem Imperfektionismus zu stehen. Und doch ist es so wichtig, gerade weil alles andere nur Schein ist und ungesund für unsere Psyche.
Ich glaube, man spürt ganz gut, mit wem man worüber sprechen kann oder darf. Das muss und soll ja auch nicht jeder sein. Wenn jeder jemanden hat, mit dem er etwas teilt, dann ist keiner allein.
Irgendwann in den letzten Jahren habe ich mich dazu entschlossen, zu mir zu stehen. Nicht nur, aber auch zu meinem „neuen“ Leben als alleinerziehende Mutter. Ich will dazu stehen, dass nicht immer alles nur einfach ist, obwohl es mittlerweile gut klappt. Ich will dazu stehen, dass ich müde und oft überarbeitet bin und dass ich kaum Zeit für mich habe und eigentlich einigermassen arm bin, finanziell gesehen. Ich spreche da auch nicht mit jedem drüber, ich finde das muss ich nicht und das alles ist nur ein Aspekt meines Lebens, meiner Person und es gibt noch so viel anderes. Aber trotzdem ist das nun so und ich will nicht so tun, als könnte ich mir alles immer leisten, als wäre ich immer entspannt und erholt.
Schlussendlich ist das keine schwierige Situation, auch wenn ich sie manchmal als unangenehm empfinde. Es ist einfach eine Lebensform, die man halt meistens nicht unbedingt selbst wählt. Deswegen ist es vielleicht auch nicht nur immer einfach, sich darin zurecht zu finden.
Ich weiss, dass es Menschen gibt, die es als Jammern empfinden, wenn andere ihnen so etwas oder anderes erzählen. Oder sie empfinden es als nichtig und erwähnen, dass auch sie sich zB alleinerziehend fühlen, weil der Mann so viel arbeitet oder sich aus andern Gründen nicht kümmert usw. Es gibt Reaktionen, die darauf schliessen, dass sie einen nicht besonders ernst nehmen oder es halt einfach nicht nachvollziehen können. Das macht nichts. Man versteht nicht immer alles und damit muss man sich auch abfinden. Ich bin schlussendlich nicht darauf angewiesen, ob andere mich oder mein Empfinden verstehen. Es ist natürlich angenehmer, aber ändert eigentlich gar nichts an der Situation.
Ich habe mir vor ein paar Monaten vorgenommen, einen neuen Weg einzuschlagen, mich weniger wegen Dingen zu stressen, die ich nicht ändern kann, entspannter zu sein und mich einfach wieder mehr über mein Leben zu freuen. Ich habe mir vorgenommen, wenn sich mir eine Hand entgegenstreckt, sie zu zu nehmen, offene Türen zu sehen und einfach JA zu sagen, wenn mir das Leben etwas anbietet. Und das klappt extrem gut, ich bin selber überrascht darüber. Ich habe in den letzten Monaten so viel Wunderbares erlebt. Total schöne Begegnungen und Erlebnisse, so viel Freundlichkeit, so viel Freundschaft, einfach so viel Gutes. Das macht mich wirklich grad total glücklich.
Deswegen möchte ich auch euch ermutigen, dasselbe zu tun. Offener sein und zu vertrauen, denn es gibt viel mehr liebe Menschen als böse und sie können nur auf einen zukommen, wenn sie einen durch die geöffnete Tür sehen.
Ich würde mir dieses offener sein sehr wünschen für alle Menschen.

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