Lebenserfahrung ist für mich eines der wichtigsten Attribute, die uns zu dem machen, was wir sind. Nicht nur die Erfahrung an sich, sondern wie wir damit umgehen, was wir daraus machen oder was sie aus uns macht.
Lebenserfahrung ist etwas wunderbares. Es macht vieles sooooviel einfacher, aber auch vieles sooooviel komplizierter. Weil wir genau wissen. Weil wir genau wissen… Befürchten… Erhoffen… Zu wissen meinen.
Ich persönlich finde, dass man wohl ein paar Jahre auf dem Buckel haben muss, um von sich sagen zu können, eine gewisse Lebenserfahrung zu haben.
Wenn man jung ist denkt jeder, ihm gehöre die Welt. Er hat schon ein paar Erfahrungen gemacht, gute und schlechte. Und macht laufend neue. Das Leben besteht aus Erfahrungen. Kleine und grosse, wunderschöne, bewegende und auch tieftraurige, erschütternde.
Ich habe in meinem Leben die Erfahrung gemacht, dass nichts mich persönlich so weiter gebracht hat wie die Schicksalsschläge, die mich so richtig durchgeschüttelt haben. Ich glaube das jedenfalls, ich weiss nicht ob es stimmt. Vielleicht denke ich es auch nur, weil diese Momente besonders schlimm und die daraus resultierende Entwicklung besonders schmerzhaft war.
Natürlich habe ich unzählige wunderbare Erfahrungen gemacht, die mich alle geprägt haben. Dauernd mache ich solche. Sie verstecken sich ja so gern in alltäglichen Situationen und deswegen fallen sie uns oft nicht weiter auf. Dennoch machen sie einen grossen Teil von mir aus. Meine positive Einstellung Menschen gegenüber zum Beispiel, sie findet ihre Wurzeln bestimmt unter anderem in positiven Erlebnissen mit eben jenen. Ebenso meine Fähigkeit, offen auf ziemlich alle zugehen und Vertrauen und Respekt entgegen bringen zu können. Nicht alle können das. Andere Menschen haben andere Erfahrungen als ich gemacht und ihre Erfahrungen haben wiederum andere Menschen aus ihnen gemacht.
Ich habe immer das Gefühl, dass die Erfahrungen in meinem Leben, die mich und den Boden unter mir erschüttert, mich zum Fallen gebracht haben, mich auch am allermeisten geprägt haben. Es gab in meinem Leben Krisen, die damals sehr einschneidend waren, die ich im Lauf der Jahre jedoch vergessen oder einfach verdaut habe, wie z.B. so mancher Liebeskummer. Lange her irgendwie… Ich erinnere mich jedoch an den Schmerz damals, es fühlt sich an, als gäbe es nichts schlimmeres. Oder super-schwierige Situationen am Arbeitsplatz, als ich z.B. in meinem letzten Job von meiner Vorgesetzten gemobbt wurde bis ich gekündigt habe. Auch das war eine schwierige Erfahrung, mir ging es nicht mehr gut, psychisch und physisch und ich habe meinen Traumjob verlassen, eigentlich meiner Gesundheit zuliebe. Auch das habe ich überstanden und dadurch eine neue Arbeit gefunden, die wieder mein Traumjob ist. Aber der Leidensdruck war sehr gross. Dennoch ist er jetzt vorbei. Es gäbe noch einige Beispiele. Situationen, die das Leben schreibt, ihr kennt sie zur Genüge.
Die Ereignisse, die mich vermutlich am meisten verändert bzw. mich zur Weiterentwicklung gezwungen haben, waren der schwere, lebensbedrohliche Motorrad-Unfall meines Bruders und dann die Krebs-Erkrankungen meiner Eltern, beide mit tödlichem Ausgang. Das waren meine grossen Krisen. Obwohl sie mich nicht direkt betrafen, obwohl mein Leben nicht direkt bedroht war. Und dennoch war es bedroht, nämlich indirekt. Die Angst um diese Menschen deckte mich dermassen zu, nahm mir die Luft zum Atmen und zog mir den Boden unter den Füssen komplett weg. Ich hatte in allen drei Situationen auch Momente, an denen ich wirklich ernstgemeinte Suizidgedanken hatte. Es waren Momente, Gedanken daran. Sie gingen vorbei und es ist nichts passiert. Weil ich in gewissen Momenten total überfordert war, weil es mir soooo schlecht gut, weil es fast nicht aushaltbar war und weil ich nicht wusste, wie es weiter gehen soll. Weil ich inmitten von Trümmern lag. Weinend. So war das.
Ich erinnere mich nicht, dass ich irgendwann mal mit jemandem darüber geredet hätte.
Es gab Momente, in denen ich nur noch das Gefühl hatte, zu fallen. Tief. Und tiefer. Und ich wusste aber, dass mein Fallschirm aufgehen würde. Irgendwann. Denn auch das ist Lebenserfahrung. Nach dem ersten Mal wusste ich, dass ich stark bin und dass diese Gefühle vorbei gehen werden irgendwann und ich mich aufraffen würde. Dass alles normal ist. Und so war das jedesmal.
Vor dem Aufprall öffnete sich mein Fallschirm und liess mich sanft auf den Boden gleiten. Der Nebel lüftete sich allmählich und ich konnte klarer sehen, war plötzlich nicht mehr allein. Je klarer die Situation wurde, desto weniger Angst war noch da und ich wusste, womit ich mich nun abfinden und befassen muss.
Klingt wohl dramatisch und das war es. Ich weiss nicht, wie es andern geht, wenn jemand sehr Naher stirbt. Ich stelle mir immer vor, dass es ihnen so geht wie mir. Aber vermutlich erleben es alle anders und es kommt wohl auch auf die Situation und die Umstände an…
Was ich aber sagen wollte ist, dass ich so vieles dadurch gelernt habe. Über mich, über meine Stärke. Aber auch über andere Menschen und ihre Beziehung zu mir. Und ich wäre ohne diese Erlebnisse – auf die ich ja liebend gern verzichtet hätte – nie die wäre, die ich jetzt bin. Obwohl es mich auch empfindlich und verletzlich einigen Themen gegenüber gemacht hat, finde ich die Auswirklungen auf meine Persönlichkeit für mich mehrheitlich positiv.
Ich bin erst nach dem Unfall meines Bruders Sozialpädagogin geworden und ich bin froh darüber. Ich weiss nicht, ob ich es mir ohne diese Erfahrung zugetraut hätte, meinen ersten Beruf hinter mir zu lassen und ein neues Studium zu beginnen. Ich glaube, dass sich einige meiner Charaktereigenschaften dadurch ausgeprägter entwickelt haben und mir in meinem Beruf, aber auch im Privatleben behilflich sind.
Lebenserfahrung… Sind wir gespannt, was noch kommt.
Beachten und geniessen wir die positiven Erlebnisse und lassen sie uns prägen sowie es die schlechten auch tun. Die Zukunft wird von beiden noch einiges für uns parat haben, so ist es einfach, das Leben.
Hoffentlich viel mehr Schönes als Schlimmes, das wünsche ich mir. Und euch.
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