Das Bauchgefühl – auch Intuition genannt. Ich glaube, man hat es oder nicht. Oder man hört darauf oder nicht?
Ich weiss nicht, wie es euch geht, aber ich habe das manchmal. Besonders stark war es, als meine Eltern starben. Bei beiden hatte ich dieses absolut schreckliche Gefühl, gleich beim Aufwachen am Morgen kam es. Zuerst im Bauch und dann nahm es mich ganz ein, ignorieren ging nicht.
23. September 1998, meine Mutter war im Krankenhaus, Intensivstation, der Krebs war überall, keine Heilungs-Chancen mehr, nur noch Linderung des Leidens. „Ich will noch nicht sterben“, ihre letzten Worte. Uns – oder mir – war nicht klar, dass nun alles so schnell gehen würde. Ich habe damit nicht gerechnet, es hat mich total unvorbereitet getroffen, obwohl ich es vielleicht hätte wissen müssen. Ich habe es mir danach oft überlegt, warum es so war. Warum realisierte ich nicht, dass es zu Ende war? Ich tippe auf Verdrängung. Auf Hoffnung.
Jedenfalls war der nächste Tag ein Donnerstag. Ich hätte Schule gehabt, aber ich ging nicht hin. Denn dieses Gefühl liess es nicht zu. Ich kann es nicht beschreiben und ich wünsche es auch niemandem. Es löste Angst und absolute Panik in mir aus. Und es geht erst wieder weg, wenn Gewissheit da ist. Die Gewissheit, dass sich mein Bauchgefühl geirrt hat, dass alles wieder gut ist, wieder gut wird. Eine kaum auszuhaltende Mischung aus Hoffnung und Wissen, dass dieselbe gleich sterben wird. So wie meine Mutter. Ich fuhr sehr früh an diesem Morgen ins Krankenhaus…. (was dann passiert ist, könnt ihr in „Diese Tage im September“ nachlesen).
Dasselbe geschah am Todestag meines Vaters. Am Dienstag, 13. November 2007. Mein Vater hatte Speiseröhrenkrebs. Die Monate der Chemotherapien und Bestrahlungen hatten ihm sehr zugesetzt. Er konnte seit Monaten nichts Festes essen, war unterdessen sehr dünn und hatte wahnsinnige Schmerzen. Und dennoch fühlte er sich momentan etwas besser. Er hatte eine zweiwöchige Behandlungspause und erholte sich gerade ein wenig von den Strapazen. Ich dachte nicht ans Sterben. Und wieder morgens dieses Gefühl…. (siehe im Text „Brandzeichen auf der Seele“). Es ist zuerst ein Gefühl und dann wandert es überall hin im Körper, verhärtet sich, wird kalt und heiss, lähmt und schreit und der Kopf weiss bereits, was los ist. Und das Herz sagt nein, bis es aufgeben muss.
Und leider hat es sich wieder bestätigt, mein Bauchgefühl. Wie froh wäre ich gewesen, wenn es sich geirrt hätte.
Ich gehe davon aus, dass die Verbindung zwischen Kind und Eltern eine besondere ist, auch wenn man erwachsen ist, und dass ich das alles deswegen so stark gespürt habe. Ich hatte zu meinen Eltern keine besonders gute, aber auch keine besonders schlechte Beziehung. Einfach eine normale. Solche Dinge spüre ich bei andern Leuten aber nicht oder zumindest nicht in dieser Intensität, mir ist es jedenfalls noch nie aufgefallen. Bei meinem Kind vielleicht, aber ich weiss nicht, ob das Intuition ist oder einfach, dass wir uns sehr nah sind und ich sie gut kenne. Ich beobachte aber immer, dass sie mich sehr gut spürt.
Die erwähnten zwei Beispiele waren Situationen, bei denen meine Intuition sehr ausgeprägt war. Eigentlich zu ausgeprägt. Schön war das jedenfalls nicht… Ich habe sowas aber oft, einfach schwächer. Einfach ein Gefühl. Und ich weiss nicht, ob das Intuition ist, oder einfach Empathie oder die Fähigkeit, voraus zu denken.
Mir passiert es zwischendurch, dass ich bei Menschen ein schlechtes Gefühl habe, ohne dass sie mir einen Grund dazu liefern würden. Es ist unerklärlich und stark. Und ich versuche dann, nicht voreingenommen zu sein und gebe allen eine Chance. Es kommt nicht oft vor, aber wenn, dann kann ich mich drauf verlassen. Und es bestätigt sich immer. Keine Ahnung, warum. Umgekehrt aber auch, also wenn ich bei jemandem ein besonders gutes Gefühl habe. Auch das bestätigt sich in den meisten Fällen.
Erklären kann ich’s nicht, mein Bauchgefühl, aber verlassen kann ich mich darauf.