Je schneller die Zeit vergeht,
desto schneller laufen wir
mit grossen Schritten
auf unser Lebensende zu,
von dem wir nicht wissen,
wann es sein wird
und auch nicht wie und wo…

Meine Tante Phyllis (genau genommen war sie die Tante meines Ex-Mannes) in England war fast 97 Jahre lang auf diesem Weg, bis er dann ganz plötzlich anfangs Juli zu Ende war.
Ein Lebensweg, der fast ein ganzes Jahrhundert gedauert hat. Fast doppelt so lange wie zB der meiner Mutter…
Wenn man sich das so überlegt, klingt das schon ziemlich krass, oder? Was man in hundert Jahren alles erleben kann, darf oder muss…

1928 gab es zB bereits…
… schwarz-weisse Stummfilme und langsam kamen auch Filme mit Ton auf.
… Fernseher bzw dieser wurde in dieser Zeit erfunden, Verbreitung fand er jedoch dann erst etwa ein Jahrzehnt später.
… das Tonbandgerät. Es wurde in dieser Zeit erfunden, mit dem Zwecke, Töne oder Stimmen auf Dauer speichern zu können.
… die Blitzlichtbirne beim Fotografieren, die einmal verwendet werden konnte.
… Penicillin (wurde 1928 entdeckt) und war für die Medizin natürlich eine wichtige Entdeckung, bis heute.
… Elektrorasierer.
… Tiefkühlkost.
… Toaster.
… den ersten Micky-Mouse-Film.
… das Telefon, es war aber noch nicht in vielen Haushalten anzutreffen. Oft musste man noch über eine Vermittlungsstelle verbunden werden. Die Direktwahl direkt zum Empfänger war ab Ende 1920 zunehmend möglich. Wählscheiben-Telefone kamen zu dieser Zeit langsam in Mode, aber vorerst nur in grösseren Städten.
… den Staubsauger, der in diesen Jahren erschwinglicher wurde, jedoch noch sehr gross und schwer war.
… erste Modelle von Kühlschränken, die jedoch noch sehr teuer waren. Die meisten Menschen nutzten zur Kühlung ihrer Lebensmittel noch Eisschränke.
… elektrische Waschmaschinen. Die meisten Frauen wuschen jedoch noch von Hand oder mit mechanischen Kurbelmaschinen.
… Autos. Sie wurden in den 1920er Jahren erschwinglicher.
… Strassenbahnen und Züge.
… Flugreisen, die aber noch Luxus waren. Erste Passagierflüge entstanden in dieser Zeit.
… Fahrräder waren ein verbreitetes Transportmittel.

Und dann, in den nächsten Jahrzehnten hat Tante Phyllis wahnsinnig viel Fortschritt erlebt, zB in ihrem Haushalt…
Wo sie vermutlich als Kind erlebt hat, wie ihre Mutter die Wäsche der Grossfamilie von Hand gewaschen hat bis hin zu Waschmaschine und Wäschetrockner im eigenen Haus.
Vom ersten Telefon im Haus, vermutlich irgendwann in ihrer Jugend, bis hin zur Kommunikation mit Handy und Tablet, welches sie bis zu ihrem Tod benützt hat.
Wenn ich keine Zeit zum Telefonieren hatte, habe ich ihr Emails geschrieben, die sie lesen konnte. Antworten ging irgendwann in den letzten Jahren dann nicht mehr so gut, weil sie nicht mehr gut sah. Sie hat mir als Antwort dann jeweils auf den Telefonbeantworter gesprochen. Ich finde es eigentlich schon noch bemerkenswert, dass sie das konnte und auch, wie (dass) sie diese Möglichkeitender Kommunikation genutzt und geschätzt hat.

Autos gab es in ihrer Kindheit und Jugend bereits, jedoch viel, viel weniger als jetzt natürlich. Ich glaube, in diesem Bereich war die Entwicklung auch recht gross. Die Zunahme des Verkehrs, viel mehr Strassen, die viel stärker befahren sind. Auch die Möglichkeiten des Reisens haben sehr zugenommen.
Ich weiss grad gar nicht, ob Phyllis Auto fahren konnte als sie jünger war, aber ihr Mann sicher. Er ist früh verstorben, ich habe ihn nicht mehr gekannt. Sie hat danach gern Ferienreisen mit Reisegruppen unternommen. Immer ihren Wasserkocher und zwei, drei Büchsen Baked Beans dabei… Ich musste immer lachen deswegen. 🙂

Fortschritte hat sie natürlich auch im Bereich des Feminismus erlebt. Sie zwar zB Lehrerin und sie hat mir viel davon erzählt. Ich glaube, das hat sie mit viel Herzblut und mit Verständnis gemacht.

Ja, ich könnte noch viel von ihr schreiben, aber das interessiert euch wohl eher weniger.
Tante Phyllis war tatsächlich eine interessante Frau. Ich vermisse sie.
Der Grund, dass ich heute besonders an sie denke ist zum einen, weil gestern ihre Beerdigung war. Und zum andern, weil das August-Kalenderblatt nun das erste ist, das sie nicht mehr umklappen wird.
Ich habe jedes Jahr ein paar Kalender in English gemacht, eigentlich nur wegen bzw für Tante Phyllis und sie hat ihn jedesmal so geliebt.

Lass uns sehr grosszügig
freundlich sein…

… denn es ist viel schöner, freundlichen Menschen zu begegnen, als missmutigen, unfreundlichen.

Wir wissen nie, wie lange unser Weg noch ist oder der unseres Gegenübers. Warum würden wir ihn uns oder jemand anderem erschweren wollen?