Anarcha Westcott war eine afroamerikanische Sklavin, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts im US-Bundesstaat Alabama lebte. Ihr Name ist heute vor allem mit einem der dunkelsten Kapitel der Medizingeschichte verbunden: den gynäkologischen Experimenten von Dr. James Marion Sims, der später als „Vater der modernen Gynäkologie“ bekannt wurde.

Anarcha war vermutlich noch ein Teenager, als sie schwer verletzt wurde, wahrscheinlich durch eine komplizierte Geburt. Sie litt an sogenannten vesikovaginalen Fisteln, schweren Verletzungen zwischen Blase, Vagina und/oder Rektum, die oft bei traumatischen Geburten entstehen. In der damaligen Zeit war die medizinische Versorgung für versklavte Frauen praktisch nicht existent, und solche Verletzungen führten oft zu chronischen Schmerzen, Inkontinenz und sozialer Ausgrenzung.

Zwischen 1845 und 1849 führte Dr. Sims über 30 Operationen an Anarcha durch. Alle ohne Anästhesie. Zwar war Äther als Betäubungsmittel bereits bekannt, doch Sims vertrat die rassistische Ansicht, dass schwarze Menschen weniger Schmerz empfinden könnten als weisse. Ein Irrglaube, der heute als Teil eines grösseren Systems medizinischer Gewalt gegen Schwarze Menschen erkannt wird.

Anarchas Leiden und ihre unfreiwillige Rolle als „Versuchsperson“ führten letztlich zu medizinischen Fortschritten: Sims entwickelte eine Technik zur chirurgischen Behandlung von Fisteln, die viele Leben veränderte. Doch der Preis dafür war sehr hoch und wurde von Frauen wie Anarcha getragen.

Neben Anarcha sind auch Lucy und Betsy namentlich bekannt, ebenfalls versklavte Frauen, an denen Sims experimentierte. Die meisten anderen blieben anonym, es gab unzählige.

Heute wird Anarcha Westcott zunehmend als Symbol für die vielen unsichtbaren Opfer medizinischer Ausbeutung anerkannt. Künstler:innen, Aktivist:innen und Historiker:innen fordern, dass nicht nur an Sims, sondern auch an Anarcha und die anderen Frauen als Teil der medizinischen Geschichte erinnert werden. Nicht als Patientinnen, sondern als Pionierinnen wider Willen…