Kinderklinik Am Spiegelgrund, Wien


Bilder: Internet

Ich habe im Roman „ Aspergers Schüler“ von Laura Baldini über die Kinderklinik „Am Spiegelgrund“ gelesen und habe dann gleich noch mehr darüber gelesen, weil es mich interessiert. Es gab im Deutschen Reich noch andere solche Institutionen, in denen Kinder oder auch Erwachsene, die nicht in die Gesellschaft passten (unter anderem auch sehr, sehr viele beeinträchtigte und kranke Menschen) getötet wurden.
Ich habe über die Kinderklinik Am Spiegelgrund recherchiert, gehe aber davon aus, dass all die andern ganz ähnlich funktioniert haben. Schliesslich unterwarfen sie sich alle dem Programm T4.

Die Kinderklinik Am Spiegelgrund war einer der grausamsten Schauplätze nationalsozialistischer Medizinverbrechen in Österreich. Zwischen 1940 und 1945 wurden dort im Pavillonbereich der Heil- und Pflegeanstalt Am Steinhof in Wien hunderte Kinder interniert, misshandelt und getötet, alles unter dem Deckmantel von Erziehung, Fürsorge und medizinischer Behandlung.
Die meisten von ihnen galten im Sinne der NS-Ideologie als „lebensunwertes Leben“, weil sie behindert, krank, verhaltensauffällig oder einfach nur sozial auffällig waren. Sie passten nicht in das Bild der „gesunden Volksgemeinschaft“, das das Regime propagierte und anstrebte.

Viele Kinder wurden von Ärzten, Hebammen, Heimen oder Jugendämtern gemeldet.*
Sie wurden als „auffällig“ registriert, oft schon im Säuglingsalter, und von da an nahm ein bürokratischer und zugleich sehr menschenverachtender Apparat seinen Lauf.
In der sogenannten „Kinderfachabteilung“ des Spiegelgrundes wurden sie untersucht, katalogisiert, bewertet und schliesslich selektiert. Wer als „nicht bildungsfähig“, „geistig minderwertig“ oder „erblich belastet“ galt, hatte kaum eine Chance auf ein Überleben.
Man verabreichte ihnen tödliche Injektionen, überdosierte Medikamente oder liess sie gezielt verhungern. Offiziell hiess es dann, das Kind sei an Lungenentzündung oder Herzversagen gestorben. Diese Nachricht (wenn überhaupt) erhielten jeweils auch die Eltern dieser Kinder in einem Brief mitgeteilt.
„Ihr Kind ist an einer Lungenentzündung verstorben.“
In Wahrheit war es Mord, getarnt als medizinische Fürsorge. Jedesmal.

Die Klinik war Teil der sogenannten „T4-Aktion“, der organisierten Tötung kranker und behinderter Menschen im gesamten Deutschen Reich. In Wien wurde sie zunächst von Dr. Erwin Jekelius geleitet, der später in sowjetischer Kriegsgefangenschaft starb.
Es folgten andere Täter wie Ernst Illing, der nach dem Krieg hingerichtet wurde.
Besonders berüchtigt ist auch der Arzt Heinrich Gross, der nach 1945 noch jahrzehntelang als Gutachter tätig war und nie ernsthaft zur Rechenschaft gezogen wurde. Er hatte Gehirne getöteter Kinder konserviert und für seine Forschung verwendet und dafür sogar wissenschaftliche Anerkennung erhalten.

Viele dieser Kinder wurden nicht nur getötet, sondern vorher auch für medizinische Experimente missbraucht. Man führte neurologische Untersuchungen durch, fotografierte sie nackt, dokumentierte ihre Reaktionen auf Medikamente oder Elektroschocks.
Manche starben an den Folgen dieser sogenannten Behandlungen. Ihre Körper wurden seziert, ihre Gehirne in Gläsern aufbewahrt, teilweise bis in die 1990er Jahre hinein.
Die Klinik war nicht nur ein Ort des Todes, sondern auch ein Ort der Entwürdigung, und ein Ort, an dem unvorstellbares Leiden verursacht wurde.

Besonders erschütternd ist, dass viele der Täter nach 1945 unbehelligt weiterarbeiteten. Die Geschichte der Klinik wurde jahrzehntelang verschwiegen oder verharmlost. Erst durch die Aussagen von Überlebenden wie Friedrich Zawrel oder durch die Aufarbeitung engagierter Historiker kam die Wahrheit ans Licht. Heute erinnert eine Gedenkstätte im Areal der ehemaligen Klinik an die über 700 Kinder, die dort grausam ums Leben kamen.
Im Wiener Zentralfriedhof stehen 772 Leuchtkreuze, eines für jedes bekannte Opfer.

Es ist schwer, sich das Leid dieser Kinder vorzustellen. Viele waren kaum älter als zwei oder drei Jahre. Manche waren sprachlos, manche wehrten sich. Manche verstanden vielleicht nicht, was geschah. Sehr viele von ihnen begriffen es sehr wohl.

Ihre Geschichten mahnen uns bis heute. Sie zeigen, wohin Ausgrenzung, Abwertung und medizinischer Machtmissbrauch führen können.
Die Klinik „Am Spiegelgrund“ ist ein Symbol dafür, wie gefährlich eine Ideologie werden kann, die Menschenleben nach ihrem vermeintlichen Wert einteilt.
Und sie ist ein Ort des Erinnerns. An Kinder, denen man das Leben nahm, bevor es richtig beginnen konnte…

Wenn es dich interessiert, siehe auch Ich möchte euch Hans Asperger vorstellen. Später folgt dann noch ein Text, in dem ich mich mit Dr. Erwin Jekelius befasse.

*Anmerkung / Überlegung
Ich überlege mir gerade, ob. es aus dieser Zeit kommt, dass Menschen mit einer Beeinträchtigung für eine sehr lange Zeit zuhause „versteckt“ wurden und so weder am gemeinschaftlichen Leben teilnehmen konnten noch ausgebildet wurden. Also weil im Zweiten Weltkrieg nach ihnen gesucht wurde, damit man sie wegbringen und töten konnte. Und halt auch, weil vielleicht noch irgendwas von der Abwertung diese Menschenleben in manchen Köpfen gebliebeb ist?
Ich gehe davon aus, dass die Familien ihre Kindern nicht gern oder freiwillig mitgegeben haben und versucht haben, sie zu verstecken…
Unvorstellbar schlimm…

2 Antworten zu „Kinderklinik Am Spiegelgrund, Wien”.

  1. […] Bis heute erinnert der Name Tiergartenstrasse 4 an diesen kalten Schreibtischmord. Eine Gedenkstätte in Berlin erinnert an die Opfer. Und an die Verantwortung, die wir alle tragen, damit sich solch ein Denken nie wieder Bahn bricht. In keiner Gesellschaft, unter keinem Vorwand, auf gar keinen Fall.Ich habe manchmal das Gefühl, es wird schon jetzt wieder viel ausgeblendet… Das ist gefährlich.Wenn es dich interessiert siehe auch Ich möchte euch Hans Asperger vorstellenIch möchte euch Dr. Erwin Jekelius vorstellenKinderklinik Am Spiegelgrund, Wien […]

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  2. Mit dem Buch von Laura Baldini und den Hintergründen habe ich mich auch beschäftigt. Und vor dem Hintergrund kommen mir die Pläne des US-„Gesundheits“ministers über sog. „Wellnessfarmen“ für psychisch Kranke, Autisten und ADHS-Menschen umso gruseliger vor.

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Mein Name ist Andrea und ich bin die Frau hinter den Worten und Gedanken in diesem Blog.
Alleinerziehende Mama eines Kindes im Autismus Spektrum, Sozialpädagogin und am Ende einfach ein Mensch auf dieser Erde wie jeder andere auch.