
Er ist durchsetzungsstark.
Sie ist schwierig.
Er ist laut und klar.
Sie ist anstrengend.
Er ist ehrgeizig.
Sie ist karrieregeil.
Er hat Charisma.
Sie hat wohl ihre Tage.
Er schreit, flucht und wirft sein Glas gegen die Wand – ein Mann mit klarer Haltung.
Sie wehrt sich, setzt sich für etwas ein, ihre Stimme wird lauter – viel zu „emotional“.
Er zeigt Emotionen.
Er ist sensibel – mutig sogar.
Sie zeigt Emotionen.
Sie ist hysterisch. Überfordert. Nicht belastbar.
Oder umgekehrt:
Er zeigt Trauer oder Angst – was für eine Memme.
Das kennen wir ja durchaus auch.
Er ist abenteuerlustig.
Sie ist unberechenbar.
Er ist halt sehr beschäftigt, gestresst, er arbeitet halt viel.
Sie ist unflexibel und unzuverlässig. Vermutlich überfordert.
Es sind dieselben Eigenschaften.
Und ganz, ganz oft werden sie unterschiedlich bewertet, je nachdem, ob wir von einem Mann oder einer Frau sprechen.
Was bei Männern als Stärke gilt, gilt bei Frauen oft als Makel.
Was bei Frauen als einfühlsam gelesen wird, wirkt bei Männern plötzlich „nicht männlich genug“, weil „schwach“.
Wenn ich jetzt ganz ehrlich bin, dann muss man ja sagen, dass ganz viele Eigenschaften bei Frauen einfach als kompliziert oder schwierig eingestuft werden. Als unbequem.
Nicht nur die geschlechtliche Zuordnung von Eigenschaften ist problematisch, sondern auch die Bewertung an sich. Eigenschaften sind nicht einfach „gut“ oder „schlecht“ – sie sind vielschichtig, kontextabhängig, individuell. Wir alle beherbergen so ziemlich alles in uns. Menschlich zu sein bedeutet, Anteile aller verschiedener Eigenschaften in uns zu haben.
So befinden wir uns in einem Netz von Erwartungen, Urteilen und unausgesprochenen Normen. Wir alle wachsen damit auf. In Bildern, sehr stark in unserer Sprache, in Rollen. Ganz vieles hinterfragen wir nicht, weil es einfach immer so war und wir es nicht anders kennen und wohl nichts Negatives hinein-interpretieren. Und doch sagt es etwas aus und doch, zeigt es ganz viel auf.
So habe ich zB eine Kursausschreibung betr. Pubertät für Kinder gesehen und ich will das jetzt überhaupt nicht kritisieren. Und schon gar nicht den Workshop an sich. Mir ist aufgefallen, dass im Titel die Jungs als „Agenten auf dem Weg“ angesprochen wurden und bei den Mädchen hiess es „Die Zyklus-Show“. Das hat mich eigentlich dann dazu inspiriert, hier etwas darüber zu schreiben.
Ich finde schon, dass man nicht über-sensibel sein muss, aber ich finde doch auch, dass man aufmerksam sein darf und dass es wichtig ist, dass sich diese Wertungen oder Zuschreibungen ändern oder dass wir sie weglassen, um Diskriminierung zu verhindern und diese betrifft ja Männer genauso wie Frauen.
Ich habe meine Tochter gefragt, ob ihr etwas auffällt und sie hat gesagt, warum Mädchen einfach Mädchen sind und Jungs nicht auch einfach nur Jungs? Sind sie besonderer? Oder warum Mädchen nicht auch Agentinnen sind im Titel?
Man kann sich da schon ein paar Gedanken machen, finde ich.
Was wir ändern können?
Wir können damit beginnen, Bewertungen und Wertungen zu hinterfragen. Uns bewusst machen, was wir gerade empfinden und warum. Aber auch ganz besonders, was wir interpretieren.
Wir können damit beginnen, Menschen nicht in Schubladen zu stecken, sondern ihnen Raum zu lassen.
Raum, sie selbst zu sein. Laut oder leise. Ehrgeizig oder zurückhaltend. Emotional oder sachlich. Oder alles gleichzeitig oder zu seiner Zeit.
Wir können Kindern vorleben, dass Eigenschaften kein Geschlecht haben. Dass Gefühle keine Schwäche sind, sondern normal. Und zwar alle.
Und dass niemand dafür verurteilt werden soll, wie er oder sie ist.
Weniger bewerten.
Mehr akzeptieren oder fragen. Mehr verstehen.
Und einfach mal anders hinschauen.


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