Ich habe dafür keinen Titel, sorry


Den oben abgebildeten Text habe ich euch ja bereits gezeigt. Nun werden uns darüber unterhalten. Wie immer ist es natürlich ein Monolog meinerseits, ausser ihr schreibt eure Kommentare unter meinen Text, worüber ich mich sehr freuen würde.

Ich habe sehr viele Gedanken und werde sie nicht alle in Worte fassen können. Es würde hier auch den Rahmen etwas sprengen. Also ohne Anspruch auf Vollständigkeit:

So.
Gehen wir doch zuerst mal den Text zusammen durch und schauen ihn uns genauer an:
„Genetisch bedingte Behinderungen beim potentiellen Nachwuchs zu produzieren sind eine Sache, denn meist geschehen sie ohne Wissen der beiden Verantwortlichen.“

Über die Ausdrucksweise brauchen wir ja nicht zu diskutieren. Wortwahl, Grammatik. Katastrophe. Aber alles ist viel weniger Katastrophe als der Inhalt.

Die Ursache für geistige Beeinträchtigungen sind tatsächlich oft in den Genen zu finden, aber es ist wissenschaftlich erwiesen, dass diese meistens nicht von den Eltern sozusagen vererbt oder übertragen werden, sondern spontan auftreten. Das bedeutet, dass solche Neu-Mutationen nach der Befruchtung der Eizelle entstehen, obwohl sie nicht im Erbgut beider Eltern nachgewiesen werden können. Es gibt „Defekte“, die ganze Chromosomenstämme verändern, aber es kann auch nur ein einzelnes Gen betroffen sein.
Interessant finde ich irgendwie auch, dass der oder die Verfasser:in des Textes von Behinderungen spricht, wo doch viel mehr Krankheiten als Beeinträchtigungen vererbt werden…

Solche genetisch bedingte Beeinträchtigungen sind zB. Trisomie 13, 18 und 21, wobei wir wohl letztere am besten kennen oder zu kennen glauben.
Bei Trisomie 21 (Down Syndrom) weist eine Person drei Kopien des Chromosom 21 statt der üblichen zwei auf. Menschen mit Trisomie 21 haben mit einigen gesundheitlichen Themen zu kämpfen. Es ist wichtig, diese Menschen gut zu fördern und sie dabei zu unterstützen, ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu führen.
Trisomie 13 (Pätau-Syndrom): Diese Kinder haben drei statt zwei Kopien des 13. Chromosomes. Das ist eine sehr schwerwiegende Erkrankung, die schon sehr oft in der Schwangerschaft entdeckt wird und auch sehr oft sterben die betroffenen Babies bereits im Bauch ihrer Mama. Die Lebenserwartung, falls sie lebend geboren werden, ist nicht sehr hoch.
Trisomie 18 (Edwards-Syndrom): Wie wir nun wissen, haben Kinder mit diesem Syndrom drei statt zwei Kopien vom Chromosom 18. Dies führt zu starken geistigen und körperlichen Entwicklungsstörungen, die das Baby bereits im Mutterleib beeinträchtigen. Diese Entwicklungsstörung wird nach ihrem Entdecker John Hilton Edwards auch Edwards-Syndrom genannt. Trisomie 18 wird meistens bereits im ersten Trimester der Schwangerschaft erkannt. Falls das Kind lebend geboren werden kann, hat es eine Lebenserwartung von nur 1-2 Wochen.

Ach, eigentlich wollte ich gar nicht so sehr auf einzelne Beeinträchtigungen und Krankheiten eingehen, sondern auf den oben abgebildeten Text. Aber ich finde es gerade so interessant, muss ich gestehen. Und wenn ich das alles so durchlese, dann berührt es mich sehr. Und je mehr es mich berührt, desto mehr finde ich die Aussagen im Text sehr abartig. Es gibt noch sehr viele andere sogenannte Beeinträchtigungen und auch viele, viele Krankheiten.

Ich finde ja, wir müssen wirklich nicht über die „Berechtigung zum Leben“ von Menschen sprechen, egal ob sie eine Beeinträchtigung oder eine Krankheit haben, egal woher sie kommen und wer sie sind.
Wir hatten schon Zeiten in Europa und nicht nur in Europa, da gaben Menschen vor, welche Menschen leben dürfen und welche massenweise umgebracht werden.
Im Hitler-Deutschland wurden zB. etwa 6 Millionen jüdische Menschen ermordet.
Dazu etwa 3,3 sowjetische Kriegsgefangene.
1,8 Millionen nicht-jüdische Polen.
250.000-500.00 Roma und andere als damals „Zigeuner“ bekannte Menschen.
Mehr als 300.000 serbische Zivilisten.
Mehrere 10.000 politische Gegner und Andersdenkende.
Hunderte oder tausende Menschen mit dunkler Hautfarbe und ebenso viele homo- und bisexuelle Männer.
Etwa 300.000 Menschen mit Beeinträchtigungen, davon mindestens 10.000 Kinder.

Ich lasse das hier mal so stehen.

Gehen wir doch mal weiter im Text:
„Die Aufrechterhaltung einer Schwangerschaft mit anschliessender Geburt eines schwer behinderten Kindes aus Fahrlässig- / Nachlässigkeit oder noch schlimmer, vorsätzlich, gehört unter Strafe gestellt.
Seit mindestens 20 Jahren sind die meisten schweren Behinderungen bereits in frühen Stadien der Schwangerschaft erkennbar. Trotzdem wird das Kind behalten; wohlweislich, dass man nie für den Schaden dafür wird aufkommen müssen.
Solchen Kindern muss logischerweise zurecht Pflege und best mögliche Entwicklung und Unterstützung geboten werden, was richtig ist.
Die Eltern solcher Kinder gehören hingegen bestraft und amtlich angeordnet, sterilisiert!
Amen.*

Ich beginne mal zuunterst. Das Amen überrascht mich einigermassen, denn so viel ich weiss, befürworten strenggläubige Christen ja Abtreibungen oder auch zum Teil Verhütungsmittel ja überhaupt nicht.

Ich muss ein bisschen kotzen, wenn ich diese Worte lese, weil ich alles daran falsch finde und zwar auf sehr verschiedenen moralischen und ethischen Ebenen.
Was ich dazu sagen möchte ist, dass es sicher Krankheiten und Beeinträchtigungen gibt, die man in der Schwangerschaft bereits entdecken kann. Es gibt auch bekannte Risikofaktoren, wie zB rauchen oder Alkohol in der Schwangerschaft, die dem ungeborenen Kind sehr schaden.

Ich hatte mal ein Kollege, der seine Masterarbeit über diese pränatalen Tests geschrieben hat und das war eine sehr spannende Arbeit. Habt ihr zB gewusst, dass es passieren kann, dass ein gesundes Kind im Bauch der Mutter aufgrund dieser Untersuchungen eine schwerwiegende Verletzung erleidet? Also Komplikationen, eine Beeinträchtigung oder eine Fehlgeburt nach einem solchen Eingriff.
Ich finde, es sei den Eltern überlassen, ob sie solche Abklärungen machen möchten oder nicht und auch, welche Konsequenzen sie dann je nach Resultat treffen werden. Ich glaube, das sind wirklich schwierige und auch herzzerreissende Entscheidungen und die sollen nicht von andern beurteilt werden.

In meinem Beruf habe ich seit vielen Jahren mit Menschen mit verschiedenen Beeinträchtigungen zu tun und ich kann sagen, dass nicht viele davon sozusagen aufgrund von Thematiken in der Familie vererbt wurden. Klar birgt die Schwangerschaft ein paar Risiken, aber ganz vieles kann während der Geburt oder auch noch danach oder im späteren Leben passieren.
Krankheiten wie zB eine Hirnhautentzündung, ein Schlaganfall, eine Hirnblutung, Epilepsie usw. können zu Schäden im Gehirn führen. Oder Verletzungen durch Unfälle natürlich auch und das kommt wirklich nicht selten vor.
Die ganzen psychischen neurologischen Erkrankungen und Symptome treten zu einem grossen Teil auch erst irgendwann im Leben auf.

Natürlich möchten wir, dass alle Menschen gesund sein dürfen, aber es ist leider einfach nicht realistisch. Es liegt in der Natur der Psyche und des Körpers des Menschen, verletzbar zu sein und es ist nicht alles reparabel. Das ist nun mal so. Und es ist okay so, ganz genau aus diesem Grund.
Menschen, die Unterstützung benötigen, sollen diese bitte auch erhalten. Ironischerweise geht es in solchen Diskussionen ja immer um Menschen, die mit Krankheiten oder Beeinträchtigungen geboren wurden. Und vor allem um geistige, würde ich behaupten.
Wir vergessen dabei manchmal ein wenig, dass jede:r von uns genau auch so ein Mensch ist, dem jederzeit im Leben eigentlich etwas zustossen kann, das unser Leben und uns total verändern könnte. Unfälle passieren jeden Tag und auch Krankheiten brechen aus.
Und all diese Menschen sind Menschen, die geliebt werden von ihren Liebsten. Das sind Menschen, die einen Platz in ihrem eigenen Leben und im Leben anderer Menschen einnehmen und den immer genau so gestalten dürfen, wie sie es sich wünschen. Dieses Recht haben sie. Wir alle haben das.

Wir müssen oder können diese Themen nicht verhindern.
Wir müssen auch nicht überfordert sein oder nicht wissen, wie wir damit umgehen sollen. Alle Menschen haben dieselben Rechte. WIR. Wir haben alle das Recht aufs Leben und ich finde es tatsächlich eine Frechheit, wenn da zwischen Menschen und Menschen unterschieden wird.

Ich könnte mich locker noch weiter aufregen, aber es bringt ja nichts.

Einer der allerschlimmsten Sätze des Textes finde ich den letzten… Ich weiss da gar nicht richtig, was ich dazu sagen soll.
Ich habe irgendwo im Entwürfe-Ordner einen Text begonnen über Euthanasie und werde den nächstens mal hervor kramen. Ein schreckliches Thema. Aber vielleicht sollten wir solche Themen wirklich auch mal beleuchten, um uns darüber klar zu werden, was genau unsere Haltungen und Wertvorstellungen sind. Unser Menschenbild. Wir sollten uns ganz fest mit solchen Dingen befassen, ganz vieles hinterfragen und uns tatsächlich einsetzen für eine Welt, wie wir sie gern haben möchten.
MEINE Welt, die ich haben möchte, wäre frei von solch misanthropischem Denken.

Deswegen schliesse ich dieses Thema nun ab und befasse mich mit schöneren Dingen, denn schlussendlich möchte ich lieber diese in die Welt hinaus bringen.

2 Antworten zu „Ich habe dafür keinen Titel, sorry”.

  1. Bei meiner Tochter wurde während der Schwangershaft eine CMV-Infektion fetgestellt, die zu mitunter auch schweren Beeinträchtigungen des Kindes führen können. Meine Tochter hat sich für das Kind entschieden und gegen eine Abtreibung. Ich hätte wohl ebenso entschieden, aber darum geht es nicht. Es geht darum, dass allein die Mutter das Recht hat, über das zu entscheidden, was in ihrem Körper geschieht.
    Ebenso bedeutsam ist in meinen Augen aber die grundsätzliche Entscheidung für das Leben und gegen den Tod! Der Tod ist ein Ereignis, dass sich irgendwann nicht mehr abwenden lässt, so war es bei der zweiten Schwangerschaft meiner Schwiegertochter.
    Aus beidem ergibt sich für mich zwingend, dass sich in diese Entscheidungen kein Außenstehender einzumischen hat.

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  2. Ich war Lehrerin in einer Förderschule für Geistige Entwicklung und habe so viel Lebensfreude bei den Kindern mit allen möglichen Beeinträchtigungen erlebt, dass mir der obige Text völlig weltfremd und absurd erscheint.
    Menschen, die so denken, können wir sowieso nicht überzeugen. Leider. Gut, dass Du das Thema für Dich abschließt! 💝🙋‍♀️

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About Me

Mein Name ist Andrea und ich bin die Frau hinter den Worten und Gedanken in diesem Blog.
Alleinerziehende Mama eines Kindes im Autismus Spektrum, Sozialpädagogin und am Ende einfach ein Mensch auf dieser Erde wie jeder andere auch.