Herbstmorgen


Manchmal, wenn ich total im Frieden mit mir und der Welt bin – und das bin ich oft – wird mir bewusst, dass es nicht allen immer so geht. Ist ja klar. Denn manchmal erlebe auch ich es umgekehrt. Denn dann, wenn meine Welt unterzugehen droht, erstaunt es, wie alle rund herum nichts von diesem Sturm spüren. Die Wellen, die hoch schlagen und versuchen, mich mitzureissen, sie wüten in mir drin und von aussen ist nichts sichtbar. Und es geht allen so. Wir sehen Menschen und wir sehen sie nur von aussen. Sie versuchen, den Schein zu bewahren, weil innere Stürme tabu zu sein scheinen… Menschen sind auch Schauspieler, sie zeigen das, was sie zeigen möchten. Nicht weil sie berechnend sind oder irgendwas nicht mit ihnen stimmt, nein. Sondern um sich zu schützen. Vor anderen Menschen, die mit den inneren Stürmen anderer nicht umgehen können und aus Überforderung wild um sich schlagen oder sich sonst irgendwie unpassend verhalten. Ich finde tatsächlich, dass dies eine der schlimmsten menschlichen Eigenschaften ist und dann frage ich mich, wie diese Menschen mit eigenen inneren Stürmen umgehen, wenn diejenige von andern sie bereits dermassen überfordern?

Nun sitze ich hier also auf meinem Balkon. Es ist ein angenehmer Herbstmorgen. Gerade so warm genug, um draussen sitzen zu können. Ich trinke meinen Kaffee mit aufgeschäumter Hafermilch aus meiner neuen Lieblingstasse. Eine Frida-Khalo-Tasse, so süss…. Und ich weiss von Menschen, die gerade sehr viel Trauer ertragen müssen. Von Menschen, die ganz schwierige Situationen bewältigen, viel aushalten müssen. Ungewissheit, Ängste, Schmerzen, Traurigkeit, Leere… Während rundherum alles normal weiter geht und sich fast niemand dafür interessiert, was bei ihnen gerade los ist.

Vor zwei Jahren, als meine Tochter schwer krank wurde und unsere Welt richtig schlimm monatelang erschüttert wurde, habe ich es genau so erlebt. Ich weiss seitdem, dass ich schlussendlich vollkommen allein bin. Ich weiss aber auch, dass ich das alles offenbar relativ gut allein tragen kann und halt auch, wie stark ich bin. Vermutlich sind das alle, wenn sie oder weil sie müssen. Wäre halt schön, wenn man nicht müsste.
Ich weiss, dass das alles nicht unnormal ist. Ich bin in Kontakt und im Austausch mit vielen Familien, die ähnliche Situation erlebt haben oder gerade erleben und es geht den meisten so. Es kommt auch gar nicht auf die Situation an. Es kann jemand sterben, jemand im sterben liegen, jemand schwer krank sein oder was auch immer… das überfordert Menschen.
Ich verstehs. Wirklich. Bzw ich verstehe die Überforderung. Aber die Reaktion darauf, die verstehe ich nicht.

Jedenfalls ist es interessant, dass wir von allen ja immer nur die Hülle sehen und ich glaube, wir sind uns darüber nicht immer so ganz bewusst. Denn anhand dieser Hülle beurteilen wir ja so vieles und auch ganz vieles, das wir eigentlich ja gar nicht beurteilen könnten, wenn wir sorgfältig damit umgehen würden.

Ich finde immer wieder, dass der Umgang bzw der Nicht-Umgang mit schwierigeren Lebenssituationen ein Manko unserer Gesellschaft ist. Weitgehend jedenfalls. Ich würde mir wünschen, dass Menschen dies lernen dürften, schon als Kind. Der erste Schritt dazu wäre, offen mit Dingen umzugehen und nicht immer nur allen eine lächelnde, hübsche Hülle zeigen zu müssen. Die psychische Gesundheit von uns selbst und ganz vielen andern Menschen würde es uns ganz bestimmt danken, davon bin ich sehr überzeugt. Und zwar meine ich damit nicht unbedingt nur, dass Menschen anders auf uns zukämen, wenn irgendwas gerade am wanken ist, sondern viel mehr, dass Menschen viel besser auch mit eigenen Themen umgehen könnten, dass sie sich nicht schämen müssten und dass sie sich keine Maske aufsetzen müssten, wenn sie unter Leute gehen.

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About Me

Mein Name ist Andrea und ich bin die Frau hinter den Worten und Gedanken in diesem Blog.
Alleinerziehende Mama eines Kindes im Autismus Spektrum, Sozialpädagogin und am Ende einfach ein Mensch auf dieser Erde wie jeder andere auch.