
Ich wohne in einem kleinen Dorf.
Die Ambulanz fährt hier nicht dauernd durch oder hin und doch eigentlich irgendwie immer öfter. Nun sitze ich auf dem Balkon und vor einer halben Stunde oder so kam sie mit Blaulicht und Sirene und gerade eben fuhr sie wieder genau so retour. Schnell und laut. Der Ton geht irgendwie durch Mark und Bein.
Und dann ist es wieder still. Irgendwie viel stiller als vorher. Es scheint, als würden all die andern Auto ganz besonders sorgfältig und leise vorbei fahren, um die Ruhe nicht zu stören. Es ist fast so, als läge etwas Bedrückendes in der Luft.
Aber das meine ich nur.
Die Sirene macht etwas mit mir. Nur mit mir oder geht es allen so? Es macht mich unruhig. Ich bekomme dann irgendwie Gänsehaut und irgendwas legt sich schwerer auf mein Herz.
Vermutlich die Erinnerung.
Aber welche Erinnerung eigentlich? Ich glaube, da spielt mir mein Kopf einen Streich, denn einen Ambulanz-Notfall habe ich wirklich nie persönlich miterlebt.
Und ich mache mir Gedanken…
Irgendwo ganz in der Nähe hat sich gerade etwas für diese betroffenen Menschen Schlimmes zugetragen. Im Krankenwagen liegt sehr wahrscheinlich jemand, der:die ums Überleben kämpft bzw die Rettungssanitäter:innen tun das. Andere – Angehörige oder Freunde:innen, Beteiligte und Betroffene – erleben gerade einen absoluten Ausnahmezustand. Albtraum. Sich sorgen, grosse Angst, Ungewissheit, Panik, Trauer, Schock… sowas kann ganz vieles auslösen und ist schwer auszuhalten. Da ist man immer noch da, aber in einer anderen Dimension irgendwie… Wahrnehmungen verändern sich, Zeit vergeht langsamer oder schneller, man fühlt sich nicht mehr oder vielleicht anders als normal, man funktioniert noch, obwohl sich innerlich ein Loch auftut…
Vielleicht haben das alle schon mal erlebt, ich weiss es nicht.
Was ich immer wieder so interessant und spannend finde, aber auch unbegreiflich, ist der Gedanke, dass rundherum das Leben einfach so und total normal weiter geht, obwohl für eine gewisse Anzahl Menschen die Zeit und auch die Welt gerade angehalten hat und sie meinen, abzustürzen. Oder es tun.
Das ist in Krisen oder schlimmen Notfällen so. Sie sind wie ein Brand, der aber nur in einem gewissen Umkreis wütet. Alle andern rundherum sehen oder hören null davon. Ich glaube, das passiert sehr oft und mir tut das irgendwie auch Leid.
Wievieles wäre einfacher zu tragen, wenn andere davon wüssten und Anteil nehmen oder mittragen könnten, egal wie? Wievieles würde so gar nicht geschehen, weil Menschen sich nicht so allein fühlen würden oder nicht so allein wären?
Vieles können wir nicht verhindern und auch nicht ungeschehen machen. Wir können uns aber interessieren und da sein. Eigentlich ist das gar keine riesige Sache.


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