„intakt“


Ich glaube, es ist im Leben lohnenswert, nicht überall und immer Probleme zu sehen, sondern Dinge, die auf uns zukommen als zum Leben gehörend zu akzeptieren und damit einfach mal so umzugehen wie es halt gerade geht. Schlussendlich sind wir alle, soviel wir wissen, zum ersten Mal in diesem Leben und dürfen Erfahrungen machen. Niemand von uns muss genau wissen, wie mit einer neu auftretenden Situation umzugehen ist. Niemand von uns muss Überforderung verleugnen und abstreiten, denn in einem Leben voller unbekannter Dinge, die auf uns alle zukommen, ist es völlig normal, mal nicht zu wissen, wie man damit umgehen möchte.
Schlussendlich gibt es selten ein einziges Richtig und ganz viele Falsch. Es gibt fast immer unterschiedliche Wege und Lösungen und welche dann passt findet man nur durch Ausprobieren heraus.

Ich glaube auch, dass wir als Gesellschaft, als Welt die Begriffe „normal“ und „intakt“ wirklich dringend neu überdenken und definieren sollten und den Menschen an sich einfach als normal und intakt wahrnehmen, egal wie oder wer er:sie ist.
Aus irgendeinem Grund sind wir alle auf diesem Planeten gelandet und zwar ganz genau dort wie wir gerade sind. Warum sollten denn einige vorgeben, was normal ist und was nicht? Wer dazu gehört und wer nicht? Wer als Mensch oder Familie intakt ist oder nicht? Ich glaube, der Mensch ist in den letzten Jahrhunderten ein bisschen steif und kurzsichtig geworden und auch sehr auf seinen eigenen Vorteil bedacht, denn für dene:n ist genau das normal und intakt, was er:sie lebt und ist und das ist doch auch genau richtig so. Bedeutet aber nicht, dass andere das deswegen nicht sind.

Es gab Zeiten in der Geschichte unserer Menschheit, in denen gewisse Menschen und Menschengruppe stark ausgegrenzt und benachteiligt wurden. Diese Denk- und Lebensweise schwappt nach wie vor bis in unsere Zeit, obwohl die Gesetze längst geändert worden sind. Menschen brauchen viel Zeit für Entwicklung und Veränderung, das ist auch normal. Und trotzdem sind diese Zeiten vorbei. Wir leben Inklusion, obwohl wir damit noch total am Anfang stehen und noch nicht mal Integration funktioniert wirklich. Ich glaube, wir brauchen da noch etwas Zeit, auch wenn ich das bedauere.

Inklusion bedeutet, dass jeder Mensch ganz genau so wie er ist sein allerbestes Leben leben darf als Teil unserer Gesellschaft. Jede Person hat die Chance, seinen Ressourcen und Fähigkeiten entsprechend zu wohnen, zu arbeiten, seine Freizeit zu verbringen und sie wird nicht durch andere Menschen oder äussere Umstände davon abgehalten.
„Die Chance haben“ bedeutet, dass es möglich ist und wäre, wenn er:sie das wollte, aber niemand muss. So wie wir (fast) alle zB die Möglichkeit haben, zu wählen und abzustimmen und längst nicht alle das tun möchten. Oder so wie ich jederzeit mit dem Bus nach Zürich reisen könnte, aber es nicht tun muss wenn ich nicht will. Die meisten von uns können zwischen unterschiedlichen Wohnformen wählen. Wir entscheiden uns selbständig, wo wir arbeiten und mit wem wir die Freizeit verbringen.
Viele von uns, aber noch nicht alle.

Ich habe diese Woche in einem Forum für alleinerziehende Eltern gelesen, dass eine Frau mit Kindern gerne eine intakte Familie wäre und ich habe ihr geantwortet, dass ich mich mit meiner Tochter und ihrem Vater, der nach wie vor als ihr Vater und mein Ex-Mann Teil dieses Systems ist, als vollständige und intakte Familie fühle und geraten, dass sie vielleicht ihre Definition von „intakt“ neu definieren könnte.
Und das finde ich tatsächlich. Wir sind (noch) im Jahr 2023. Es ist längst normal, dass Familien anders aussehen als noch vor 60 Jahren mit zwei Elternteilen, einem weiblich und einem männlich, und mit 2,5 Kindern. Heute gibts ganz unterschiedliche Familien und das ist doch wunderbar, denn alle sollen doch so leben, wie sie glücklich sind und mit. wem sie glücklich sind.
Ich würde mal davon ausgehen, dass dies der Wunsch von uns allen ist.

Somit wünsche ich mir eigentlich für das neue Jahr, dass Menschen, die sich gerade in etwas schwierigeren Situationen befinden, nicht allein gelassen oder halbwegs geächtet werden, sondern dass sie auch genau so nach wie vor ein Teil vom Ganzen sind. Denn nur schon das wäre vermutlich wahnsinnig hilfreich in dieser Situation.
Manchmal holperts im Leben, da ist niemand Schuld dran. Wenn wir einander nicht dazu noch Steine in den Weg legen, wirds auch meistens bald wieder besser.

Ich wünsche mir auch, dass wir mit Überforderungen besser umgehen lernen, vor allem auch wenn sie im Beruf auftreten. Einfach dazu stehen und dann Lösungen suchen. Ich habe es einfach wirklich sooooo satt, mich mit Fachpersonen beschäftigen zu müssen, die total in ihrer Aufgabe überfordert sind, jedoch alles tun um dies zu überspielen. Das kann andern ganz schön schaden und ich finde, das ist total inakzeptabel.

Ich wünsche mir, dass noch viel mehr Inklusion möglich wird. Dass wir Menschen nicht nur unser eigenes als normal anschauen, sondern einfach auch offener werden und das Leben von andern nicht unnötig schwerer machen.

Ich wünsche euch einen guten Jahresabschluss!

2 Antworten zu „„intakt“”.

  1. Intakt beinhaltet ja auch Takt – und damit das sich aufeinander einstimmen (im Gleichtakt schwingen) und einen taktvollen und damit respektvollen Umgang mit einander. Und das hängt nicht von der Zusammensetzung der Familie ab.

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About Me

Mein Name ist Andrea und ich bin die Frau hinter den Worten und Gedanken in diesem Blog.
Alleinerziehende Mama eines Kindes im Autismus Spektrum, Sozialpädagogin und am Ende einfach ein Mensch auf dieser Erde wie jeder andere auch.