
Die Wahlen in der Schweiz sind vorbei. Bestimmt sind die Resultate für viele genau so heraus gekommen, wie sie es sich gewünscht bzw wie sie gewählt haben. So funktioniert das. Ganz viele haben sich – so wie es immer ist – entschlossen, nicht wählen zu gehen. Ich persönlich bedaure das Resultat, denn es macht mir auch Angst in die Welt hinaus zu schauen, zu sehen was überall abgeht und genau in dieser Situation einen Rechtsrutsch zu machen.
Ich habe auch Bedenken, dass dies ein Stillstand oder Rückschritt in Themen wie Emanzipation, Gleichstellung, Inklusion bedeuten wird. Mich als alleinerziehende, berufstätige Frau, die in genau diesen Themen auf Fortschritte angewiesen wäre, wird das stark (be)treffen. Aber nicht nur mich.
Aber mir geht es hier eigentlich nicht darum, sondern um Authentizität.
Authentizität setzt voraus, dass man zu sich selbst stehen kann und dass man dies so auch nach aussen zeigen kann. Innere Haltungen, Einstellungen oder auch wer man ist, sollen nicht Gründe sein, um von andern diskriminiert, ausgestossen oder ausgelacht zu werden. Sind es auch nicht und trotzdem haben nicht alle dieselben Chancen oder die Möglichkeit zu sein, wer sie sind oder das zu machen, was sie lieben.
Authentisch sein klappt so richtig, wenn man in einem Umfeld lebt, das wertschätzend, offen und respektvoll damit umgeht, was wir von uns präsentieren. Menschen, die offen sind für ihre eigene Überforderung, mit der Angst vor bestimmten Themen.
Ist dies nicht der Fall, sind Menschen um sich selbst zu schützen gezwungen, Rollen zu spielen, die nicht sie selber darstellen, sondern jemanden, der:die mehr akzeptiert wird im Umfeld. Einfach, um zurecht zu kommen oder auch um in Ruhe gelassen zu werden.
So ein Rollenspiel auf die Dauer braucht wahnsinnig viel Energie und ich glaube, nie sich selber sein zu dürfen oder zu können, das bewirt, dass ein Mensch sich selber verliert. Das wiederum bewirkt, dass er seinen Halt verliert. Das macht einen Menschen einfach total kaputt.
Nehmen wir zB die 50er Jahre irgendwo in Deutschland oder in der Schweiz. Frauen hatten damals noch überhaupt keinen Spielraum, ihr Leben zu gestalten. Angepasstheit war die wohl wichtigste Eigenschaft einer Frau.
In dieser Zeit war Homosexualität verboten. Das war übrigens bis 1994 so. Dieses Gesetz wurde schon 1871 gemacht, verschärfte sich aber unter dem Regime der Nazis dann nochmal extrem. Homosexuelle Menschen durften sich auf gar keinen Fall zu ihrer Homosexualität bekennen. Ganz oft heirateten sie und hatten Kinder, womit sie wohl nicht nur sich, sondern auch ihre:n Ehepartner:in unglücklich machten. Sie hatten nicht die Möglichkeit, mit jemandem zusammen zu sein, den:die sie tatsächlich liebten. Heiraten war aber viel, viel sicherer als allein zu bleiben, denn stell dir vor, jemand hätte Verdacht geschöpft…
Für gleichgeschlechtlichen Sex konnte man in dieser Zeit 10 Jahre Gefängnis bekommen. Es war wie eine Hexenjagd. Homosequelle wurden unfreiwillig geoutet, ihre Existenz wurde damit gestört. Viele brachten sich um.
1994 wurden in Deutschland diese Gesetze geändert. In der Schweiz 1942.
Im Jahr 2023 leben wir in Zeiten, in denen Menschen dazu ermutigt werden, sich selbst zu sein. Authentisch zu sein. Da kommt nun ganz vieles zum Vorschein, das bisher einfach versteckt bleiben musste. Menschen beginnen, sich zu sein und sich zu zeigen. Menschen, die vorher gezwungen waren, sich im von der Gesellschaft akzeptierten Spektrum zu bewegen.
Ich glaube, aus diesem Grund erscheinen nun Themen in unserer Umwelt, von denen wir gar nichts gewusst haben. Eine wahnsinnige Vielfalt.
Ich gehe davon, es gab sie schon immer, man durfte einfach nicht dazu stehen und erst recht nicht darüber sprechen. Und doch braucht es auch heute 2023 noch viel Mut, anders als andere zu sein, denke ich. Diese Menschen müssen sich outen, und sich erklären, stossen auf Widerstand und auch auf Unverständnis bei einigen.
Ich wünsche mir, dass es irgendwann so sein wird, dass einfach jede:r okay ist so wie er ist. Keine:r braucht sich zu erklären oder auf das Verständnis und die Toleranz von andern zu hoffen, sondern ist wie er ist. Gerade das mit der Sexualität habe ich noch nie verstanden. Was interessiert es mich, ob jemand schwul oder lesbisch ist? Musste ich jemals jemandem erklären, dass ich heterosexuell bin und dabei Angst haben, das Gegenüber reagiere komisch? Nein. Also sollten es andere auch nicht tun müssen.
Was stört es mich, wenn eine junge Frau sich als Mann identifiziert? Warum würde ich ihm Steine in den Weg legen wollen, die ihn daran hindern, sich selbst zu sein?
Auch da plädiere ich auf Inklusion sowie immer. Wir Menschen sind keine Roboter und passen in ein vorgegossenes Schema. Wir sind individuell und genau das macht uns doch aus.
Authentisch sein zu können und zu dürfen, das ist gesund für uns Menschen. Es ist ja auch so, dass wir Authentizität an andern Menschen sehr schätzen. Man weiss so einfach, woran man bei jemandem ist. Er:sie kommt ehrlicher rüber, authentische Menschen finden wir sympathischer und vertrauenswürdiger.
Ein wichtiger Aspekt beim authentisch sein ist für mich auch das ehrlich sein, vor allem dann, wenn es uns schwerer fällt. ZB fällt es mir immer wieder auf, Menschen haben wahnsinnig Mühe, Überforderung zuzugeben und machen so vieles viel, viel schwieriger oder verhindern so einiges.
Es kann dazu kommen, dass wir überfordert sind mit jemandem oder mit etwas. Das ist doch total menschlich und normal. Meine Erfahrung damit ist, dass einige Menschen diese Überforderung dann überspielen. Daraus entstehen Machtspiele oder ganz komische, ungute Situationen. Oder sie gehen weg, um nicht reagieren zu müssen.
Das ist schade und auch verletzend.
Wenn du überfordert bist mit etwas, was jemand tut oder erzählt, dann sag doch bitte einfach genau das.
Authentisch zu sein bedeutet, einfach alles zu sein, was man ist.


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