Der Donnerdrache


Ich hatte gerade bei Facebook eine Erinnerung von vor ein paar Jahren. Da hatte ich offensichtlich einen „Test“ gemacht (wie doof….), was mein Name Andrea im Buddhismus bedeute. Das Resultat war „Donnerdrache“. Vermutlich ist das ja totaler Quatsch, aber ich musste gerade schmunzeln darüber, denn ich habe das Gefühl, in den letzten ein bisschen mehr als zwölf Monaten war ich tatsächlich so einer. Ein gefährlicher.
Ich musste.

Bis zur Autismus-Diagnose meiner Tochter war es eine längere Leidensgeschichte. Für sie und auch für uns Eltern. Wenn ein Kind „aufhört zu funktionieren“, dann wird einem – und ich glaube unterdessen, dass das der Normalfall ist – nicht in erster Linie Hilfe angeboten, sondern man wird eigentlich beschuldigt, etwas getan zu haben, dass es diesem Kind so schlecht geht. Es ist tatsächlich so. Wenn ein Kind nicht mehr in die Schule gehen kann, bekommen Familien ein riesengrosses Problem. Ohne Rücksicht auf irgendwas wird man überrollt. Es wird auf die Schulpflicht hingewiesen und auch darauf, dass das Problem ganz sicher nicht in der Schule ist. Es MUSS also zuhause sein. Eltern machen sich strafbar, wenn ihr Kind nicht zur Schule geht. Da kommt es auf den Grund dann gar nicht so sehr an bzw den interessiert gar keinen.
Eltern werden eigentlich ziemlich verurteilt ohne Chance auf eine wirkliche Richtigstellung, denn wie zur Hölle kann man beweisen, dass zuhause keine Missstände herrschen?

Es wird auch nicht davon ausgegangen, dass ein Kind nicht mehr in die Schule KANN, sondern es WILL nicht mehr. Es verweigert sich, Schulabsentismus wird das genannt. Es interessiert keinen, warum es nicht mehr kommt und es wird auch nicht gross dabei unterstützt, wieder zu kommen. Es gibt nur zwei Dinge. Funktionieren und nicht funktionieren. Bei Funktionieren ist alles bestens. Bei nicht funktionieren kommt man in ernsthafte Bedrängnis.

Ich habe gesehen, dass etwas nicht stimmt mit meiner Tochter. Dass es einfach nicht geht. Ich habe gesehen, wie schlecht es ihr ging. Es hat mir das Herz gebrochen, sie so zu sehen. Über Monate hinweg. ICH habe ihr geglaubt, dass Mobbing statt gefunden hat und ich habe erlebt, wie damit umgegangen wurde. Für mich völlig unverständlich, wie man mit Menschen so umgehen kann.

Das mit dem Mobbing hat sich später dann übrigens bestätigt.

Andrea. Der Donnerdrache.
Ich habe für mein Kind gekämpft wie eine Löwin. Ich glaube, Mütter wissen was ich meine. Wenn es um sein Kind geht, da wird man im Notfall zum Tier. Das muss so sein, denn wer sonst würde sich für unsere Kinder einsetzen?
Das wurde nicht von allen verstanden. Unser damaliger Hausarzt hat zB zu mir gesagt, ich solle einfach klarer sein am Morgen und es ihr nicht durchlassen, zuhause zu bleiben. Er hat mir dann auch noch gesagt, ich müsse aufpassen, denn Mütter, die sich zu sehr einsetzen, bekämen dann gern auch eine Diagnose. Münchhausen Proxy.

Ich war schockiert und ich fand es eine Frechheit. Ich bin auch nie wieder zu diesem Arzt gegangen, noch am selben Tag habe ich gewechselt und eine Ärztin gefunden, die uns ernst genommen hat und die uns geglaubt hat.
Situationen wie diese sind übrigens äusserst bedrohlich und überhaupt nicht selten. Ich kenne eine Frau, der genau das vorgeworfen wurde. Das Kind leidet unter Long Covid. Diffuse Symptome, schwierig eine Diagnose zu stellen, da alles noch neu und fremd und bei jedem:r wieder anders ist. Es wurde seiner Mama weg genommen und in eine geschlossene Klinik für Jugendliche gesteckt. Dort wurde abgeklärt, ob das Kind das Münchhausen Syndrom habe und die Mutter musste beweisen, dass sie selbst nicht an Münchhausen Proxy erkrankt war. Beide waren wochen- oder gar monatelang voneinander getrennt. Kontakte waren nur im Beisein vom Pflegepersonal möglich. Alle andern Menschen dieser Welt durften Kontakt mit diesem Kind haben, nur die Mutter nicht.
Schlussendlich durfte das Kind dann wieder zurück zu seiner Mutter, da beide an keiner dieser Krankheiten leiden. Long Covid wurde bestätigt. Welchen psychischen Schaden das alles ausgelöst hat bei Kind und Mutter, kann man nur erahnen.

Das ist keine Ausnahme-Geschichte. Solche Vorkommnisse gibt es reihenweise. Eltern mit Kindern, die an Long Covid erkrankt sind, erleben das wieder und wieder.
In einer Reportage über Autismus und Schule (SRF Autismus und Schule – (k)eine Liebesbeziehung) habe ich zum ersten Mal realisiert, dass es ganz, ganz vielen andern Familien so wie uns ergeht oder zum Teil noch viel, viel schlimmer.
WIR hatten ja noch Glück und unser Kind bekam dann schnell mal einen Platz in der Tagesklinik der Kinderpsychiatrie und dort hat man uns total ernst genommen uns uns geglaubt. Das hat richtig gut getan und sollte wirklich einfach normal sein. Dort bekam sie dann auch die Diagnose. Es ist keine einfache Diagnose und doch war es nach dieser alptraumartigen Zeit einfach eine Erleichterung zu wissen, was „ihr fehlt“. Denn bis dahin wurde einfach total ausser acht gelassen, dass wir eine Familie sind, deren Kind sehr krank war und wir uns unendlich viele Sorgen gemacht haben um sie, weil wir nicht wussten, was los ist.

Mit der Diagnose haben sich viele Gemüter dann auch beruhigt und ich glaube, es tut einigen auch Leid, was alles passiert ist. Sagen würde ja niemand etwas, aber ich habe das Gefühl, es zu spüren. Leider kann man nichts ungeschehen machen, auch den entstandenen Schaden nicht. Immerhin hat das Kind jetzt Unterstützung und Verständnis, das ist jetzt gut. Es macht mehr Sinn, vorwärts zuschauen jetzt ,statt rückwärts…

Aber ehrlich, ich glaube wenn ich nicht gekämpft hätte wie eine Löwin, dann weiss ich nicht, was passiert wäre…
Ich bin sehr froh, dass ich immer auf mein Gefühl gehört habe und einfach nie aufgegeben habe. Es hat sich gelohnt.

Wenn ich zurück blicke, kommt es mir vor, als wäre das alles ein riesen Alptraum gewesen und das war es auch tatsächlich.
Und dann frage ich mich, warum eine Familie, die sich Sorgen um ein krankes Kind macht, nicht einfach Unterstützung bekommt?

Mir tut das so leid für alle, die sowas erleben müssen und ich möchte euch ermuntern, darüber zu sprechen. Etwas vom schlimmsten daran fand ich persönlich nämlich, allein mit alldem zu sein.

4 Antworten zu „Der Donnerdrache”.

  1. Sehr, sehr traurig und leider geht es ganz vielen Menschen so, die unter Erkrankungen leiden , die nicht auf Anhieb diagnostiziert werden können. Bei Kindern ist eine solche Leidensgeschichte besonders schlimm…und ja, es ist extrem wichtig , dass über all die schlimmen Dinge gesprochen wird , die da passieren. Ansonsten wird es niemals Veränderungen geben, nur weitere Isolation und Einsamkeit
    Ich wünsche Euch von Herzen alles Gute
    Daniela

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  2. Danke!!! Euch auch alles Liebe!

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  3. Schweres ADHS vom impulsiv-hyperaktiven Typ hier. Es tut so gut, wenn die Diagnose endlich steht. Nicht, weil man seinem Kind eine Behinderung wünscht, sondern weil man „es“ endlich benennen kann: weshalb ein herzensgutes, freundliches Kind plötzlich so ausrastet, dass es sich und andere in Gefahr bringt, oder aus heiterem Himmel sein Zimmer zerlegt. Die Erleichterung, dass es nicht an einem liegt – denn an Schuldgefühlen mangelt es Müttern auch dann nicht, wenn sie instinktiv wissen, dass „es“ nicht an der Erziehung liegt sondern dass mit dem Kind etwas nicht stimmt. Erleichterung auch deshalb, weil plötzlich Türen aufgehen, von denen man vorher gar nichts wusste: Nachteilsausgleich, sozialpädagogische Förderung, Ergotherapie und andere Hilfen, wo vorher nur Vorwürfe zu hören waren (keine Angst, man muss auch so noch genug kämpfen, um die Hilfen zu erhalten).
    Ich hoffe, Ihr findet nun etwas Ruhe in den Stürmen des Lebens, um Eure Wunden zu lecken und Euch wieder etwas erholen zu können!

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About Me

Mein Name ist Andrea und ich bin die Frau hinter den Worten und Gedanken in diesem Blog.
Alleinerziehende Mama eines Kindes im Autismus Spektrum, Sozialpädagogin und am Ende einfach ein Mensch auf dieser Erde wie jeder andere auch.