Neurodiversität


Neurodiversität.
Was ist das eigentlich?

Neurologie ist die Wissenschaft, die sich mit Nerven und dem Nervensystem befasst. Das Nervensystem besteht aus dem Gehirn, dem Rückenmark und dem peripheren Nervensystem und aus der Muskulatur des menschlichen Körpers.
Diversität bedeutet Vielfalt, Vielfältigkeit.

So bedeutet Neurodiversität also die Vielfältigkeit des Nervensystemes. Und das wiederum bedeutet, dass all unsere Gehirne sich in Aufbau und Struktur ähnlich sind, aber dennoch total unterschiedlich funktionieren können.
Abweichungen von der Norm werden nicht mehr als Behinderung oder Krankheit gesehen, sondern als neurodivers. Also wurde die Norm irgendwie aufgehoben. Es wurde erkannt, dass Gehirne unterschiedlich funktionieren und sich deshalb trotzdem nicht ausserhalb des Normalen befinden.
Das Konzept der Neurodiversität wurde zum erstem Mal 2012 auf dem National Symposium of Neurodiversity in New York beschrieben.

Neurodiversität klingt erstmal eher neu und ungewohnt, aber es ist nicht so fremd wie wir meinen. Wir alle kennen neurodivergente Menschen, denn darunter versteht man zB Menschen mit ADHS, ADS, ASS, Dyslexie, Dyskalkulie, Dyspraxie, Sensorische Modulationsstörung, Hochbegabung oder Hochsensibilität.

ADHS ist die Abkürzung für Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom. Bei Menschen mit ADHS ist das Gleichgewicht von Botenstoffen im Gehirn verändert. Noradrenalin und Dopamin stehen an den Stellen, wo sie benötigt würden, nicht in ausreihender Menge zur Verfügung. Dadurch wird die Übettragung von Signalen gestört, was wiederum dann das Zusammenspiel von Aufmerksamkeits und Motivation beeinträchtigt. Dies führt zu Symptomen wie Konzentrationsschwierigkeiten, Reizüberflutung und diese führt dann wiederum zu Ablenkung oder Wutausbrüchen. Menschen mit ADHS neigen dazu, nicht ausdauernd zuhören zu können, sondern einem ins Wort fallen und bereits wieder tausend andere Gedanken haben, denen sie nachgehen. Sie sind sehr angetrieben und ruhelos, immer in Bewegung sei es körperlich oder geisitg. Menschen mit ADHS haben wahnsinnig viel Energie. Wir empfinden sie schnell mal als anstrengend und zu wild.
Anstrengend its es tatsächlich auch oft für sie selbst, denn zur Ruhe kommen empfinden sie als sehr schwierig.

ADS ist dann dasselbe, einfach ohne Hyperaktivität. Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom.

ASS ist die Abkürzung für Autismus-Spektrum-Störung. Wie es der Name schon sagt, beinhaltet dies eine ganze Vielfalt, ein ganzes Spektrum an Menschen, an Symptomen. Kennst du eine:n Autisten:in, kennst du eine:n Autist:en. Jede:r ist anders.
Es gibt Autist:innen mit Intelligenzminderung und es gibt sogenannte hochfunktionale Autist:innen (auch Asperger genannt), die normal- oder sogar hochbegabt sind. Autismus hat mit Intelligenz also nichts zu tun bzw es kommt auf die Art von Autismus drauf an.
Autismus ist eine angeborene Entwicklungsstörung. Informationen werden vom Gehirn eines autistischen Menschen anders wahrgenommen als bei uns nicht-autistischen Menschen. Sie sehen sozusagen die Welt mit anderen Augen, hören Geräusche anders als wir und so reagieren auch die andern Wahrnehmungsfunktionen. Das ist aber von Autist:in zu Autist:in unterschiedlich. Es gibt Autisten:innen, die kaum sprechen oder zB anderen Menschen nicht gut in Gesicht schauen können. Manchen Autisten:innen sieht man Gefühlsregungen in der Mimik nicht an und sie können diese auch in den Gesichtern anderer Menschen nicht erkennen. Einige haben Inselbegabungen, d.h. sie interessieren sich sehr für ein Themengebiet und wissen darüber ganz extrem viel. Es gibt Autisten:innen, die sich Nummern und Zahlen extrem gut merken können, andere wissen alles über das Thema Raumfahrt usw. Muss aber nicht sein. Es gibt Autisten:innen, für die Berührungen zB von gewissen Stoffen bei Kleidung oder von Wasser auf der Haut unangenehm ist. Eklig oder es tut weh, ich weiss es nicht. Oder es kann sein, dass Baden, Schwimmbad oder Duschen ein Problem darstellen kann, weil das Wasser zu laut ist oder nach Chlor riecht oder irgendwas. Viele Autisten:innen können nicht alles essen aufgrund von Farbe, Konsistenz, Geschmack und was auch immer der Nahrungsmittel.
Weil autistische Menschen vieles anders wahrnehmen, zum Teil halt auch als ZU laut und ZU viel oder gar als bedrohend empfinden, sind das oft vorsichtige und auch ängstliche Menschen.
Viele Autisten:innen finden zwischenmenschliche Beziehungen nicht einfach. Es gibt solche, die keine brauchen und dementsprechend sie sich auch nicht suchen oder wünschen und es gibt andere, die es möchten, aber nicht so richtig die Fähigkeiten haben, diese aufzubauen oder aufrecht zu halten. Da autistische Menschen manchmal in gewissen Dingen etwas anders als andere Menschen sind, sind diese anderen Menschen dann manchmal auch überfordert im Kontakt und wenden sich ab. Autisten:innen werden wohl vor allem als Kinder öfters als andere Opfer von Mobbing.

Ganz viele Autisten:innen erleben aus all den oben genannten Gründen Schwierigkeiten in unseren Schulen mit ihren engen Strukturen und der Vorstellung, wie ein Kind sein soll. Weicht jemand von dieser Norm ab, ist unser Schulsystem komplett überfordert, sei es auf der Kinder- oder auf der Erwachsenen-Ebene.
Ich glaube, das passt nicht nur zum Thema Autismus, sondern auch Kinder mit ADHS oder anderen Besonderheiten erleben es in diesem System als schwierig und werden auch als schwierig empfunden..
Ich kann mir vorstellen, dass es einfacher wird, wenn Autisten:innen dann erwachsen sind. Klar sind da immer noch Strukturen und Schwierigkeiten, aber es ist vielleicht ein bisschen dehnbarer als im Schulsystem. Ausserdem lernen viele von ihnen im Verlauf ihres Lebens, sich ein gewisses anzupassen und halt auch sich ein Umfeld zu suchen, in dem sie sich wohl fühlen.

Und was sie alle mit uns gemeinsam haben ist, dass sie ein Teil unserer Gesellschaft sind und einfach so wie sie sind akzeptiert und respektiert werden möchten. Sie möchten inklusiv behandelt werden. Das heisst, sie dürfen so sein wie sie sind und genau so sind sie ein gleichberechtigter Teil unserer Gesellschaft.

Nachdem ich mich seit Monaten oder sogar Jahren mit Inklusion befasse und dieses Thema wahnsinnig wichtig finde, betrifft es mich jetzt auch ganz persönlich.
Mein Kind ist neurodivergent. Sie ist hochfunktionale Autistin. Das wissen wir erst seit kurzen, nach einem sehr schweren und langem Leidensweg, wenn ich ehrlich bin.

Nun, mit dieser Diagnose, fängt für uns ein neuer Weg an…. Einer, auf dem es bei weitem nicht nur auf mein Kind und ihre Bemühungen drauf an kommt, sondern extrem fest auch auf das Verständnis und das Wohlwollen unseres Umfeldes.

5 Antworten zu „Neurodiversität”.

  1. Eine liebe Bekannte von mir hat nach vielen Jahren nun auch diese Diagnose für Ihr Kind bekommen und ich hoffe, ihr „Leidensweg“ nicht verstanden zu werden, immer wieder vor die Wand zu laufen und zu kämpfen und nicht gehört , gesehen und verstanden zu werden wird nun endlich aufhören – bestimmt nicht ganz und es wird weiterhin nicht „leicht“ sein, aber klarer und vielleicht endlich mit etwas mehr Unterstützung. ich drücke euch die Daumen für die „neue“ Zeit

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  2. Ich habe deine/eure Situation ja schon seit längerer Zeit aus der Ferne beobachtet und wir hatten auch einmal einen kurzen Austausch, deshalb bin ich froh, dass ihr eine Diagnose habt, von der aus ihr den weiterenWeg besser erkennen könnt. Leicht wird es auch damit nicht werden, aber leichter.
    Wahrscheinlich bin ich auch ein wenig neurodivers, ich war ja Lehrer und habe die Kinder, die irgendwie etwas anders waren, schnell erkannt und mich um sie ein wenig mehr gekümmert. Vermutlich hatte ich das als Kind auch gebraucht. Ich wollte zuerst gar kein Lehrer werden, aber dann war ich froh da zu sein, wo ich gebraucht wurde.
    Ich drücke euch die Daumen, für die Zeit, die vor euch liegt.

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  3. Du beschreibst das schön. Wir stehen noch am Anfang. Aber ich glaube auch, dass die Diagnose viel Klarheit gibt und man danach auch in etwa weiss, wo sie Unterstützung braucht.
    Ich schicke euch liebe Grüsse!

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  4. Unsere jüngste Tochter ist ebenfalls eine hochfunktionale Autistin, sie hat ihre Diagnose seit Februar 2022 und wir erleben viele Hochs und Tiefs als Familie. Die Hochs überwiegen allerdings bei Weitem. Als Eltern ist für uns die größte Schwierigkeit, wenn sie offensichtlich unter etwas ganz heftig leidet und wir sie nicht tröstend in den Arm nehmen dürfen, weil sie die Nähe nicht erträgt.
    Vieles, was du schreibst, kennen wir auch und arrangieren uns immer besser mit den Besonderheiten. Und alle paar Wochen oder Monate sind neue Absprachen angesagt, weil sie langsam aus der Pubertät herauswächst und sich dann auch wieder Dinge ändern. Ganz wichtig für unsere Tochter ist die Zeit in der Psychotherapie, ihre Therapeutin versucht nicht, sie an die Gesellschaft anzupassen, sondern ihr Werkzeuge zu vermitteln, wie sie sich selbst in dieser zurechtfindet, ohne sich zu verlieren.
    Wenn man bedenkt, wie lange man davon ausging, dass ASS nur Jungen und Männer betrifft, ist es sehr erleichternd, wie viele Mädchen inzwischen diagnostiziert werden.
    Im Urlaub waren wir teilweise überrascht, dass manche speziellen Wahrnehmungen bei uns beiden ganz ähnlich sind (Beispiel: Sie sagt zu mir „Findest du, dass Glitzer ein Geräusch machen sollte?“ und ich antworte „Ja, so ein ganz feines Glöckchenklingeln.“ und wir schauen uns einfach nur erstaunt an☺)
    Ich wünsche euch Kraft, aber auch viel Spaß!

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About Me

Mein Name ist Andrea und ich bin die Frau hinter den Worten und Gedanken in diesem Blog.
Alleinerziehende Mama eines Kindes im Autismus Spektrum, Sozialpädagogin und am Ende einfach ein Mensch auf dieser Erde wie jeder andere auch.