Von Liebe, Schmerz und Verlust


Vor gut einem Jahr sind unsere beiden Meerschweinchen zu uns gekommen. Wir waren neu für sie und sie für uns.

Luna war immer das frechere, vorwitzigere von beiden. Lotti ist etwas schüchterner und vorsichtiger. Aus dem Käfig genommen und gestreichelt werden mag sie nicht so besonders. Ich habe immer das Gefühl, sie duldet es für eine Weile und zeigt dann aber, dass sie nun nicht mehr will. Luna mochte das. Sie sass oft auf meinem Oberkörper, wenn ich auf dem Sofa lag und liess sich besonders gern am Hals oder oberhalb der Nase kraulen und streicheln. Sie knabberte und leckte an meinem Finger und biss auch manchmal sanft zu. Als ob sie genau wüsste, wieviel geht ohne dass es weh tut.
Wenn sie meine Hand wegschüttelte oder stärker zubiss, wusste ich dass sie nicht mehr will. Sie lag immer gern auf meinem Dekollete bzw auf meinem Hals, ganz nah, eigentlich direkt unter meinem Kinn, sodass ich mich kaum noch bewegen konnte. Ich liebte es, wie warm sie war und wie sie roch und wenn sie leise „schnurrte“, wenn es ihr gefiel.

Ich hatte immer das Gefühl, sie kennt bzw erkennt mich genau. Wenn ich nach Hause kam und „hallo“ gerufen habe, hat sie gepfiffen und kam ans Gitter, um mich zu begrüssen. Lotti tat das auch. Ich habe aber das Gefühl, dass sie ihre Schüchternheit zusammen mit Luna besser überwinden konnte. Denn jetzt tut sie das nicht mehr. Seit gestern ist Lotti alleine, Luna ist gestorben. Sie musste gestern eingeschläfert werden, nachdem sie letzten Mittwoch plötzlich schwer erkrankte.
Dieser Schritt bzw diese Entscheidung ist mir extrem schwer gefallen. Ich habe Luna ein paar Tage gepflegt, war hin und her gerissen zwischen Hoffnung und akzeptieren der Tatsache, dass nichts mehr zu machen ist. Gestern habe ich mich zusammen mit der Ärztin fürs Erlösen entschieden und hielt sie auf meinem Arm, während sie einschlief und dann starb.

Nun ist ein Tag vergangen. Ich fühle mich besser, nicht mehr so geschockt wie gestern. Und immer noch dieses flaue Gefühl im Bauch und im Herz. Ein Loch, irgendwie leer.
Ich vermisse sie. Und ich muss sagen, mir tut auch Lotti leid, die nicht versteht was geschehen ist und offensichtlich verunsichert ist. Wir warten noch das Resultat des Bluttestes ab und wenn die Tierärztin grünes Licht gibt, bekommt Lotti so schnell wie möglich eine neue Gefährtin (oder zwei, wenn wir dann ein grösseres Gehege haben).

Ich habe mich gestern über mich selbst gewundert. Soooooo viele Tränen und so viel Schmerz. Ich habe es fast nicht ausgehalten. Vor allem vor dem Arzttermin, ich war angespannt, nervös und in Tränen aufgelöst. Danach ein bisschen entspannter, irgendwie erleichtert, aber umso trauriger.
Es ist ja logisch, dass es einem nahe geht, wenn sein Haustier stirbt oder eben krank ist und eingeschläfert werden muss. Das ist wirklich alles andere als schön.
Das Kind hat sich Gott sei Dank relativ gut damit abgefunden. Ich habe ihr alles erklärt, sie hat Abschied genommen,  wahnsinnig geweint und ihren Schmerz so richtig rausgeschrien und dann war’s irgendwie okay. Jetzt freut sie sich auf das neue Meerschweinchen und denkt sich Namen aus. Manchmal ist sie noch traurig, aber es geht ihr gut.

Und ich? Ich kann das noch nicht so richtig. Zum einen, weil mir dieses Meerschweinchen wirklich viel bedeutet hat. Im letzten Jahr, als bei uns alles so schwierig war, habe ich sie oft zu mir genommen, gestreichelt und geweint. Und ich hatte das Gefühl, sie gibt mir Kraft und tröstet. Irgendwie klingt das wohl psycho und ein bisschen komisch, aber es ist dennoch so. Ich hatte immer das Gefühl, dass sie mein Krafttier ist. So etwas wie ein Seelentier. Ich hatte dieses Gefühl bis zum Schluss, eigentlich auch jetzt noch. Da war irgendetwas, was uns verbunden hat.

Und ich weiss aber, dass all meine Gefühle jetzt nicht nur allein mit dem Tod von Luna zu tun haben, sondern mit vergangenen Verlusten, die nun plötzlich trotz zum Teil ausgiebiger Verarbeitung wieder obenauf schwimmen. Der Tod meiner Mutter, dann der meines Vaters, denen beiden längere und schlimme Krankheitsgeschichten mit viel Leiden und Angst vorausgegangen sind und die mir beide sehr nahe gegangen sind. Und dann halt auch noch die Trennung von meinem Mann im letzten Jahr. Das sind grosse Verluste. Ich glaube, man kann solche Dinge verarbeiten und lernen damit umzugehen, aber sie bleiben trotzdem irgendwie als Narben auf unserer Seele. Erlebnisse, die uns sooo tief erschüttern, gehen nie ganz weg.

Ich habe mal geschrieben, dass ich alles was ich über Schmerz weiss, von Verlusten gelernt habe. Ich würde diese Aussage auch heute noch unterschreiben. Und bei jedem weiteren grossen Verlust springt diese Narbe wieder auf und blutet. Der alte Schmerz vermischt sich mit dem neuen Schmerz und wir finden wieder Wege, damit zu leben und damit umzugehen. Denn das müssen wir. Immer wieder.

Und nun, liebe Luna, ruhe in Frieden. Du warst für mich ein ganz besonderes Tier. Danke für alles!

 

5 Antworten zu „Von Liebe, Schmerz und Verlust”.

  1. Liebe Lotti, liebe Luna, liebe (Miss the)Moon … wie immer berühren mich die Worte, die Geschehenes, Erfahrenes und Gespürtes, so schön und klar zum Ausdruck bringen.
    Wie so oft bei derart schmerzlichen Ereignissen, kommen mir 2 Sachen in den Sinn, die mir in vergleichbaren Situationen Trost und Hilfe waren … “In deiner Sprache“, ein Lied von Ludwig Hirsch – (https://youtu.be/Xg3If1wghnQ) … und das Buch “Die Hütte“ von William P. Young, in dem dieser den fiktiven Umgang mit einem unfassbaren Verlust beschreibt. Dieses Bild von ‚Nachtoderfahrungen‘ findet sich ja in zahlreichen Belegen wieder und trifft meiner Ansicht nach viel eher, als so manches andere Verständnis von Leben und Tod. Vielleicht kennst das ein oder andere ja schon oder Ähnliches aus anderen Zusammenhängen … vielleicht öffnet es neue Ausblicke auf mögliche Lebensphilosophie – ich wünsche es euch! LG 💕

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  2. Danke für deine lieben Worte. Dir auch alles Liebe.

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  3. Ich erlebte diese Abschiede auch. Erst starben meine Eltern, dann mein geschiedener Mann und zwischendurch mein Hund, etliche Katzen und Meerschweinchen und noch andere Arten und Sorten. In unserer Familienphase auf dem Land haben wir immer viele Tiere gehabt, Ein Haustier habe ich mir nach meiner Trennung nicht mehr angeschafft. Ich will keinen Abschied von einem Tier mehr nehmen müssen.
    Dein Text berührt mich sehr! Du hast so viel Kraft für Deine Tochter, obwohl Du selbst so traurig bist. Liebe Grüße und einen kleinen Regenbogen für Euch! Regine

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  4. Verlust ist nie einfach! Ersetzen geht meistens auch nicht. Aber Neues zu lassen, dass geht.

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About Me

Mein Name ist Andrea und ich bin die Frau hinter den Worten und Gedanken in diesem Blog.
Alleinerziehende Mama eines Kindes im Autismus Spektrum, Sozialpädagogin und am Ende einfach ein Mensch auf dieser Erde wie jeder andere auch.

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